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Aus dem Homeoffice eines Unbrauchbaren VIII
Einige bedauernde Worten - Eine Begriffsklärung


Bekam zwei Mails. Eine Zusendung liegt schon beinahe neun Monate zurück und damals dachte ich mir noch nichts, als ein Freund an mich schrieb, ob denn die Figur des Unbrauchbaren ein rhetorisches Mittel sei, um die Leser*innen zu provozieren, damit sie mir versicherten, ich werde natürlich gebraucht. Dahinter dachte ich, verbirgt sich die Vermutung meines Freundes, es handle sich um eine Art fishing for compliments. Ein größeres Missverständnis könnte es gar nicht geben, denn ich bin mir durchaus bewusst, dass ich gebraucht werde, als Individuum, denn ich bin durchaus nützlich, brauchbar und es wird auch eifrig Gebrauch von mir gemacht, als Vater, als Ehemann, als Lehrer, Verleger, manchmal sogar als Schriftsteller. Und ich denke, es gibt noch zahllose weitere Funktionen, in denen ich den Menschen zu Diensten sein kann und so meinen Gebrauchswert als Mensch bestätigen kann.

Zurückgeschireben habe ich ihm folgendes: Nein so ist das nicht gemeint. Es ist im wortwörtlichen Sinne des Gebrauchswertes eines Menschen zu verstehen, denn wenn uns diese pandemische Krise eines lehrt, dass wir nur für Weniges zu gebrauchen sind. Für die Wirtschaft als Konsumenten. Für die Politik als nützliche Idioten. Als Künstler hätte ich einen Gebrauchswert, wenn meine Texte auf einem Markt relevant wären. Als Konsument jedoch bin ich lächerlich, weil ich lächerlich wenig konsumiere. Und als politischer Mensch bin ich eben doch ein nützlicher Idiot, weil ich immer noch unterrichte und noch immer keine Partei gegründet oder Religion gestiftet habe. Es ist also kein Kokettieren und keine Provokation. Ausnahmsweise. Es ist auch keine rhetorische Floskel. Der Begriff Unbrauchbar ist wortwörtlich zu verstehen. Gesellschaftlich habe ich keinen Nutzen. Wirtschaftlich bin ich spätestens in sieben Jahren ein Verlustgeschäft. Künstlerisch habe ich längst abgedankt, ohne je einen Thron bestiegen zu haben. Also im wörtlichen Sinne bin ich tatsächlich als Angehöriger meiner Generation unbrauchbar, sterben die Babyboomer endlich weg, wäre dieser Gesellschaft tasächlich geholfen.

Die Antwort meines Freundes kam prompt und war vorhersehbar: Ich gebe zu, ich verstehe deinen Begriff von Gebrauchswert nicht: Heißt das, deine Texte werden von niemanden gelesen? Deine Worte von niemanden gehört? Deine Aufgaben von keinen Schüler_innen beachtet? Dein Essen von niemanden, auch keiner Katze gegessen?

Ich gebe zu, ich war erfreut, dass ich in ihm ein Echo gefunden hatte, das nicht unkommentiert bleiben durfte. Also wurde in die Tasten geschlagen, was die Tasten hergaben, denn einem klugen Menschen zu widersprechen, ihn zu kommentieren, heißt doch, an seiner Klugheit zu partizipieren, den Gebrauch, den wir voneinander in dieser Situation gemacht haben, zu ehren, durch eine gebührende Antwort. Also schrieb ich: Bei der Unbrauchbarkeit geht es ja nicht um einen persönlichen individuellen Gebrauchswert. Der steht doch außer Zweifel, dass ich gebraucht werde. Das ergibt sich wie von selbst aus der Familiensituation, aber wenn man aus der Familie, dem Freundeskreis herautritt, stellt sich diese Frage jeden Tag, zumindest für mich. Da stellt sich für viele in der heutigen Zeit der Gebrauchswert auf dem kapitalistischen Markt. Gut, da habe ich Glück gehabt, weil ich mich zum Leher ausbilden ließ. Die braucht man immer, egal wie schlecht sie auch immer sein mögen. Aber was ist mit all den anderen. Bei der Unbrauchbarkeit geht es eben nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um ein gesellschaftliches politisches Verhältnis zur Welt. Und in diesem Verhältnis zur Welt sind wir alle ersetzbar und verzichtbar. Nur Humanisten sind der Meinung, dass die Menschheit etwas Besonderes wäre und der Mensch als Gattunsgwesen besonders schützenswert wäre. Wer gesellschaftlich entbehrlich ist, sollte sich in Zeiten der Krise von der Gesellschaft nicht allzu viel erwarten.
Und glaube mir. Ich weiß wie entbehrlich ich für meine Schüler bin. Klar würden sie mich vermissen, würde die Schule mich aus dem Dienst entfernen, aber sie würden eben einen anderen Lehrer bekommen und an den würden sie sich genauso gewöhnen, wie sie sich über die Jahre an mich gewöhnt haben. Und wenn ich aus der Familie durch Tod ausscheiden würde, reißt das gewiss eine riesige Lücke auf und natürlich wünsche ich mir, dass diese Lücke niemand schließen könnte. Aber Hand aufs Herz: Am Ende wird man vergessen. Es gibt nur eine Möglichkeit in Erinnerung zu bleiben, indem man brauchbar ist oder in der Rückschau brauchbar gewesen war. Gut die meisten interessiert dieses Problem nicht, weil es für sie eine individuelle Kategorie ist. Doch für jemand der Kunst macht, für einen wie mich, der nicht nur für den Hausgebrauch schreibt, ist gesellschaftliche Relevanz und Brauchbarkeit eine sine qua non seiner Existenz. Er muss nützlich sein. Nicht als Mensch, sondern in, mit und durch seine Kunst. Alles andere ist sinnloses Geschwafel von irgendwelchen Humanisten und religiösen Heilsbringern.
Unsere Gesellschaft ist eine ökonomische Zweckgemeinschaft, in der Menschen nach ihrem Gebrauchswert beurteilt und verurteilt werden. Und unsere Regierung ist ja nur so besorgt um die Menschen, weil sie uns nach Ende der pandemischen Krise für den Aufschwung benötigen, für den Profit der kapitalistischen Marktinteressen, denn vor der Krise hat sich doch auch keiner darum geschert, dass die Unbrauchbaren gestorben sind wie die Fliegen. Den meisten ist und war es immer schon egal. Schicksal eben. Kommst du mit einer Krankheit zur Welt, an der nur zehn Menschen so wie du leiden, lohnt sich Forschung nicht und dann sterben die zehn eben und der eine wie der andere überlebt so gut es geht. Wen juckts.
Das sind die wahren Verhältnisse in unserer Gesellschaft, in denen von den Brauchbaren Gebrauch gemacht wird. und daran hat sich trotz der Verbesserung der Lebensverhältnisse in weiten Teilen der Welt, zumindest unserer, nichts geändert, denn die, die am Rande leben, leben immer noch von der Hand in den Mund. Und dann gibt es Menschen wie uns beide, die ganz gut durchkommen, aber eben auch nur brauchbar sind, wenn sie an der Aufrechterhaltzung des status quo interessiert sind.
Also du siehst, wie aus einer langen Rede ein kurzer Sinn werden kann: Wenn ich mich als einen Unbrauchbaren bezeichne und meine Situation im Homeoffice beschreibe, dann hat das nur einen Grund, weil es um gesellschaftliche Relevanz geht und nicht um private Befindlichkeiten. Und gerade das Lehrerhomeoffice hat mir gezeigt, dass in der anonymisierten Lehrer-Schüler-Situation auch ein anderer hinter dem Bildschirm sitzen könnte und es würde niemandem auffallen, außer dass die Antworten möglicherweise kürzer als meine ausfallen würden.


Unwidersprochen blieb meine Antwort jedoch nicht. Auf meine doch etwas langatmigen Ausführungen kamen ein paar schlichte Worte, die mich offen gesagt ein wenig sprachlos zurückließen, was auch dazu führte, dass ich den Diskurs nicht weitertrieb, ganz gegen meinen eigentlichen Charakter. Die Antwort lautete: Aber da könnte eins doch (wie es übrigens schon Heiner Müller getan hat) sarkastisch sagen: Nicht zuletzt das Virus braucht uns Menschen! Wer möchte nicht eine Kneipe, ein Café, ein Salon sein? "Es ist durch nichts erwiesen, dass der Mensch auf der Erde das herrschende Lebewesen ist. Vielleicht sind das ja die Viren, und wir sind nur Material, eine Art Kneipe für die Viren. Der Mensch als Kneipe, eine Frage der Optik." Heiner Müller. Ich halte es ja mit Stefanie Sargnagel (die derzeit zu Höchstform aufläuft): "Galgenhumor bester Humor"!

Nun ja Galgenhumor ist etwas für jene, die ihn sich leisten können.

Aber dann flaterte mir eben vor ein paar Tagen ein zweites Mail aus Vorarlberg in den Posteingang, von einer Schriftstellerkollegin, und ich musste nun doch einmal festhalten, was es denn mit dem Homeoffice eines Unbrauchbaren auf sich hätte, denn die Autorin zeigte sich erschüttert, ob meiner Selbstbezeichnung als eines Unbrauchbaren, denn ein solcher sollte keiner sein, auch wenn der Literaturbetrieb noch so brutal sei. Und dann setzte sie noch mit der Frage nach: Machen wir trotzdem weiter? Na sicher doch, zuckte es mir durch die Finger, denn selbst wenn einer wie ich, ein Unbrauchbarer ist, für die Gesellschaft, kann er doch nicht aufhören, darüber zu schreiben. Das würde ja bedeuten, dass die Brauchbaren, die Viruswirte gewonnen hätten, wenn es überhaupt so etwas wie einen Kampf um die Diskurshoheit in dieser Frage geben sollte.

Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Die Überschrift Aus dem Homeoffice eines Unbrauchbaren entsprang einer spontanen Eingebung, die dem Titel eines bald erscheinenden Gedichtbandes auf den Fuß folgte: Poetereyen eines Unbrauchbaren. Erst danach füllte sich der Rahmen mit dem Bild, der Begriff mit Inhalt. In gewisser Weise nahm der Titel das Verhältnis der Welt mir gegenüber vorweg. Im Grunde steht die Frage im Raum, was heißt es denn, gebraucht zu werden. Und wer braucht wen und ist mancher Gebrauch nicht auch ein Form von Missbrauch? Vielleicht will ich gar nicht gebraucht werden in einer Welt, die den Unbrauchbaren nur noch ein Almosen spendet, eine Überlebensberechtigung ausspricht, ohne diese mit Bedeutung füllen zu können.

Unbrauchbar zu sein, in einer Konsumwelt, heißt ja im positiven Sinne, kein Produkt zu sein, das jemand brauchen kann, das man käuflich erwerben will, dem man Bedeutung zuspricht. Keine Ware zu sein in einer Welt der Waren, bedeutet ja eben auch nicht austauschbar zu sein, wie alle anderen Waren, die industriell hergestellt werden und zum Gebrauch und zum Verzehr gemacht sind. Ich will mich nicht verzehren lassen und mich auch nicht nach den anderen verzehren. Da treibe ich doch lieber echolos durch die Welt und schreibe mich in ihr ein, als wär mein Wort ein Bedeutungszeichen in der Welt. Werden meine Worte nicht gebraucht, so können sie auch nicht missbraucht werden.

Armin Anders spricht von der Irrelevanz des Menschen und er hat recht, davon zu sprechen. Letztlich ist meine rhetorische Figur des Unbrauchbaren ja auch nichts anderes als das Sichtbarmachen eben dieser Irrelevanz. Was ich aber darüber hinaus noch damit aussagen will, ist, dass wir trotz dieser Irrelevanz nicht aufhören sollten, uns zu Wort zu melden, denn tun wir es, dann würden wir das Feld den Brauchbaren überlassen. Und in einer kapitalistischen, menschenverachtenden und verbrecherischen Welt, können die Brauchbaren ja nur Handlanger der Verbrecher, Unterdrücker und Kolonialisten sein. Die Brauchbaren als solche zu entlarven, muss die Aufgabe eines Unbrauchbaren sein, denn nur so macht mein Wortgebrauch Sinn.

Letztlich ist die rhetorische Figur des Unbrauchbaren eine Erhöhung meiner Person, ein Zeichen meiner Überlegenheit, denn so kann ich mich in dem Wahn wähnen, ich sei etwas Besseres, weil ich das Privileg habe, mich unbrauchbar durch die Welt zu schreiben, als wäre sie ein Griesbrei im Schlaraffenland und die Brauchbaren mein Sahnehäubchen auf der Torte, über die ich mich empören kann. Wie einer der Gerechten, die richten, weil sie der Welt nicht angehören, wie in Brechts Der gute Mensch von Sezuan, wo die Götter zur Erde hinabsteigen und einen guten Menschen suchen, weil es eben einen geben muss, damit die Welt nicht völlig sinnlos wäre, um doch am Ende festzustellen: Wir wissen wohl, es ist kein rechter Schluß. Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen. Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
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eingestellt: 8.2.2022 | zuletzt aktualisiert: 8.2.2022
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