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Aus dem Homeoffice eines Unbrauchbaren XXVII
Über das Dasein eines Autors

Der Weg zum Schriftsteller bleibt sozial unbemerkt, ist sozial nicht anerkannt. Es zu sein, ist durchaus mit einem hohen sozialen Prestige verbunden. Den Beruf ergreifen zu wollen, wird als größenwahnsinnig abgetan, weil die meisten von uns in jungen Jahren, die sich schon früh als Schriftsteller bezeichnen, dies ja nicht auf Basis der Qualität ihrer Texte tun, sondern auf Basis ihres Wunsches zu schreiben und mit ihrem Schreiben wahrgenommen und damit gelesen zu werden. Für einen, der sich früh als Schriftsteller bezeichnet, ist das noch nicht vorhandene Publikum der Zielort seiner Sehnsucht, die Leser, die auf ihn warten. Insoferne ist der Wunsch, Schriftsteller zu werden, immer eine Utopie. Einen utopischen Weg zu beschreiten, heißt aber immer ein unkalkulierbares Scheitern mit in die Rechnung auszunehmen, denn das Dasein eines Schriftstellers ist immer unkalkulierbar in Bezug darauf, ob es von den Menschen als schriftstellerisches Dasein wahrgenommen wird.

Warum nicht einmal einen Essay schreiben, warum ich als Autor sozusagen erfolglos geblieben bin. Nun, gleich vorweg, natürlich kann es daran liegen, dass ich einfach für den Markt nicht gut genug bin, dass die Qualität meines Schreibens einfach nicht ausreicht. Darüber kann ich nichts sagen. Darüber müssen andere urteilen. In dieser Frage bin ich befangen. Worüber ich aber nachdenken kann und will, ist, was meine Wege, meine Grenzen und Möglichkeiten im Literaturbetrieben gewesen sind oder auch hätten sein können beziehungsweise nach wie vor sind.

Noch eines vorne weg: Mir war das Handeln immer wichtiger, als das Erscheinen. Mir war das Schreiben immer wichtiger als das Werben, auch wenn ich nie völlig darauf verzichten wollte. Marketing ist mir verhasst, vor allem Self Marketing, denn es setzt eine Art von Selbst voraus, das vermarktet sein will. Und noch eins: Ich kann Lesungen nur schwer ertragen, die eigenen ebenso wie die anderer. Doch Lesungen sind, neben der Kulturkritik, nicht nur ein unmittelbarer Zugang zu den Leser*innen, sondern auch eine unschätzbare Einnahmequelle für einen Autor, der sein Auskommen mit dem Schreiben einkommensmäßig sichern will. Also insoferne ist ein Autor eben auch ein Lesender. Neben den Lesungen leben viele eben nicht vom Buchverkauf, sondern von Stipendien, Stadtschreiberposten und Literaturpreisen, also von einem Markt, der nicht vom Publikum, vom Buchmarkt bestimmt wird, sondern von vor allem staatlichen Institutionen. Vielleicht noch eines: In Österreich ist der Literaturmarkt im Grunde insgesamt verstaatlicht. Kaum ein literarisches Buch erscheint in einem österreichischen Verlag ohne Förderung. Insoferne gibt es das, worüber ich nun schreiben werde in Österreich gar nicht, nämlich einen vom Kapital und Leser*innen (Angebot und Nachfrage) bestimmten Markt. Es ist ein von Juror*innen und Beamt*innen beherrschter Markt. Das hat Vor- und Nachteile. Das aber ist ein anderes Thema und also an anderer Stelle abzuhandeln.

Soviel zu den allgemeinen Vorbedingungen und der Perspektive, aus der ich schreibe. Eine Perspektive wäre vielleicht doch auch noch wichtig zu beleuchten, nämlich die historische.

Als 62er-Boomer begann ich 1979 zu schreiben. Da war ich noch nicht einmal im Maturastadium und von einer Teilnahme am Markt weit entfernt. Mitte der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts habe ich dann meine ersten zögerlichen Schritte gewagt, um mich auf dem Markt zu behaupten: Ich habe an Ausschreibungen teilgenommen, mich bei Werkstätten beworben und Ende der Achtziger auch damit begonnen, an Verlage zu schreiben. Die damaligen Absagen waren berechtigt. Ein kurzer Blick in meine Texte von damals spricht Bände. Dennoch habe ich begriffen, dass es so etwas wie einen Markt gibt, auch wenn ich ihn für einen hielt, der immer noch wie im neunzehnten Jahrhundert funktioniert. Das war ein Irrtum. Und verschärfend kam hinzu, dass meine role models zu dieser Zeit Sartre und Hesse waren. Nun ja, langer Rede kurzer Sinn, ich kam für eine veritable Schriftstellerkarriere um zehn, wenn nicht um zwanzig Jahre zu spät, selbst wenn meine Texte damals formal bedeutsam gewesen wären. Die Themen waren es allemal. Sie waren immer auf der Höhe meiner Zeit. Was ich bereits damals als Voraussetzung für eine schriftstellerische Existenz erachtete und heute umso mehr.

Auf die kulturpolitisch elenden Achtziger Jahren folgte ein Jahrzehnt, in dem ein grundlegender gesellschaftlicher Umbruch vor sich ging. Ein sozialpolitisch noch einigermaßen offener Staat und eine durchaus der Welt zugewandte Gesellschaft begannen ihre Pforten zu schließen. Der Niedergang des aufklärerischen Denkens mitsamt der politischen Implosion des Bürgertums – wie ich diese Zeit gerne charakterisiere –, nahm seinen Anfang. In diese Zeit hinein habe ich meinen ersten und einzigen Versuch unternommen, am Markt teilzunehmen. Der Versuch, in einem Kinderbuchverlag Fuß zu fassen und damit eine feste Größe im Kinder- und Jugendbuchmarkt zu werden, scheiterte am Verlagsleiter, da seine Texteingriffe aus meiner Perspektive zu einem anderen Buch geführt hätten. Andere würden vielleicht sagen, ich hätte mich dabei selbst sabotiert und mein Eigensinn habe dazu geführt, dass meine Kinderbücher auf dem Dachboden in meinem Nachlass vergammeln. Aber auch das ist eine andere Geschichte, die zu schreiben ich den Germanist*innen und Historiker*innen überlassen möchte.

All diese, etwas hilflosen und naiven Versuche, auf dem Markt zu reüssieren, sind also gescheitert. Während dieser etwa fünfzehnjährigen Tätigkeit im literarischen Untergrund habe ich viel gelesen, mich formal und inhaltlich weitergebildet, so gut es ging. Auch gab es eine handvoll Lesungen, aber dann kam es zu einer folgenreichen Begegnung.

Armin Anders trat in mein Leben, schärfte mein Bewusstsein für künstlerischen und sprachlichen Ausdruck, setzte nicht nur den Rotstift an den entscheidenden Stellen an, sondern war, so denke ich das heute, mit mir in der Analyse dessen, was den literarischen Markt und seine Institutionen in Österreich leisten können und wollen, einer Meinung. Und es kam, wie es in Österreich immer kommt, wir gründeten einen Verein und dann noch einen und noch einen und noch einen. Wir schossen aus allen Rohren. Wir verwandelten uns in Kulturarbeiter, in Veranstalter, in Literaturvermittler. Und noch etwas: Wir gründeten einen Verlag. Aus heutiger Perspektive ein wichtiger Meilenstein für mich als Autor, aber gleichzeitig ein Pyrrhussieg, denn als Autor trat ich Stück für Stück hinter den Verleger und Veranstalter zurück. Rasch wurde das, was ich tat, in den Augen der Menschen wichtiger, als das was ich schrieb. Nicht aber für mich. Dennoch: Ohne Gründung der Edition Art Science hätten wir nicht jene publizistische Unabhängigkeit und Freiheit gewonnen, die wir heute besitzen. Und was noch wichtiger ist: Über den Umweg der Verlagsgründung, bin ich ein Marktteilnehmer geworden, wenn auch in völlig anderer Weise, als ich je gedacht hätte.
Von diesen Tagen im Sommer 1997 an blieben mir weitere Demütigungen durch den Markt erspart. Bettelgesuche, Bittschreiben und Ablehnungen konnte ich nun elegant umgehen. Der Preis, den ich gezahlt habe, war schriftstellerische Echolosigkeit. Was mir allerdings auch erspart blieb, war der elende und lange Marsch durch Literaturzeitschriftenpublikationen sowie mich von Kleinverlag zu Kleinverlag zu schwingen – wie ein Schimpanse sich durch die Baumkronen des Dschungels schwingt –, um dann wie viele meiner Generation in einem mittleren deutschen Verlag zu stranden, in der Folge ein Dasein am Rande des Marktes zu fristen, immer auf dem Sprung in die Bestsellerlisten, um dann doch wieder in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit zu stürzen, denn eines ist zu sagen: Von den schreibenden Boomern hat es nur einer ins Zentrum der Kulturkritik geschafft, ins Zentrum des Marktes und dennoch ist er heute beinahe vergessen. Vielleicht auch ein Stück weit, weil er den österreichischen Markt gen Westen verlassen hat: Norbert Gstrein. Doch auch das ist eine andere Geschichte, die Boomer und ihre Literatur. Was mir auch noch erspart blieb: das Stipendienunwesen, der Cliquenbetrieb und die Abhängigkeit von Jurys. Ich hielt mich einfach mit Brotberufen über Wasser, und das bis heute.

So bin ich – spät aber doch – noch etwas geworden, was ich bereits in frühen Jugendjahren beschlossen hatte, zu werden: ein Lehrer. Aber wie so vieles in diesem Text, so ist auch dies eine andere Geschichte, die andernorts zu erzählen ist.

All das eben Besprochene hat dazu geführt, dass ich von der Literaturkritik, vom Literaturmarkt und von Preisverleihungen unbemerkt weiterschrieb. Und wenn ich mich festlegen müsste, was mein Beruf sei, müsste ich meine inneren Bedürfnislagen reihend offenlegen.

Eine solche Reihung sähe aus heutiger Perspektive wie folgt aus: Lehrer, Verleger, Schriftsteller, Germanist und Historiker. Mit welcher Rolle ich von außen gesehen werde, hängt maßgeblich davon ab, wen man fragt: Für meine Schüler*innen und Kolleg*innen bin ich ein Lehrer, der eben auch schreibt. Für die meisten Schriftstellerkolleg*innen bin ich möglicherweise ein Verleger, der auch schreibt. Für die Germanist*innen an der Uni war ich ein Student, der Verleger ist und eben auch schreibt. Von ein paar Wenigen, die mich wirklich kennen, werde ich möglicherweise als verlegender Schriftsteller, als lehrender Schriftsteller, als Schriftsteller, der auch wissenschaftlich arbeitet, gesehen.

Nun ist mein Essay doch ein wenig ausführlicher und persönlicher geworden, als ich das wollte. Daher möchte ich am Ende noch fünf Kriterien definieren, von denen eine schriftstellerische Existenz in Bezug zur Außenwelt, dem Markt beziehungsweise einem möglichen Echo, das sie in der Gesellschaft werfen könnte, abhängt.

Eines ist dabei aber immer zu beachten: Bei der Möglichkeit, in den Markt vorzustoßen, spielt der Zufall eine bedeutsamere Rolle, als ihm gemeinhin zuerkannt wird. Natürlich kann man vieles selbst dazu beitragen, gesehen zu werden. Doch zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, mit dem richtigen Text und dem richtigen Verlag zu sein, ist von derart vielen Variablen abhängig, das man Karrieren zwar planen kann, aber ohne eine institutionelle Hilfe, ohne den Beistand von Menschen aus dem Zentrum des literarischen Betriebes und ohne das Wohlwollen der Literaturkritik und Germanistik tendiert die Chance, ins Herz des Marktes vorzustoßen, wohl eher gegen Null. Und dann bleibt man einer der achtundneunzig Prozent Autor*innen eines Landes, einer Nation, eines Marktes, die vom Leser und der Leserin (und hier ist das Massenpublikum gemeint) lebenslang unbemerkt bleiben.

Zum Abschluss meine fünf Lehren, die ich aus meiner eigenen Geschichte als Autor gezogen habe und die ich heute beherzigen würde, wenn ich heute in das Herz des Literaturbetriebes und des Literaturmarktes vorstoßen wollen würde.

Erstens | Psychologie: Ein Autor muss sich selbst als solchen bezeichnen, um den anderen die Chance zu geben, ihn als solchen wahrzunehmen. Er muss davon überzeugt sein, ein Schriftsteller, ein Autor oder Dichter zu sein, um über seine innere Existenz hinaus, einen literarischen Schatten in der Welt werfen zu können. Die Ergreifung des Berufes Schriftsteller (auch als Dichter) ist im ersten Schritt eine Frage der literarischen Selbstbehauptung.
Zweitens | Literatur: Ein Autor muss sein Schreiben als Werk begreifen, nicht als einen zufällig zustande gekommenen Text. Schon der erste Text sollte begriffen werden als der Teil eines späteren Werkes, das in der Rückschau als solches gesehen werden wird, selbst wenn es noch nicht als solches intendiert ist. Jeder Text sollte vom Autor selbst als einzelnes Stückwerk eines zu schaffenden Gesamt(kunst)werkes betrachtet werden.
Drittens | Netzwerk: Ein Autor muss möglichst früh damit beginnen, sich ein Netzwerk zu schaffen, sich mit anderen Autoren und Autorinnen zusammenzutun. Er muss auf andere zugehen, auch auf die Gefahr hin, Kritik einstecken zu müssen, seine Texte in Frage stellen lassen zu müssen. Er muss sich in den Markt hineinbewegen, mit all den daraus folgenden Demütigungen und Diktaten. Vernetzung dient aber nicht nur dem Erfolg auf dem Markt, sondern ist auch unerlässlich für die eigene formale, also literarische, und inhaltliche Weiterentwicklung als Schriftsteller.
Viertens | Ökonomie: Selbstmarketing ist eine unabdingbare Voraussetzung für den literarischen Erfolg. Der Autor muss bereit sein, jede Publikationsgelegenheit, jede Lesung, jeden Preis, jedes Stipendium nicht nur anzunehmen, wenn sich die Chance dazu bietet, sondern sich auch aktiv darum zu bemühen. Von den höchsten literarischen Bergen muss jeder und jede sich immer wieder in die Mühsal der Ebenen des literarischen Betriebes begeben, nicht nur um sichtbarer zu werden, sondern auch um sichtbar zu bleiben, denn kaum ein anderer Markt ist so vergesslich und unerbittlich wie der literarische. Dennoch: Niemals dabei das mögliche Scheitern aus den Augen verlieren und immer einen Plan B bereithalten, um ökonomisch überleben zu können: Das kann partnerschaftliche Absicherung sein, dass kann sein, einen Brotberuf auszuüben oder auch (zumindest zeitweise) ein Sozialempfänger zu sein, und vieles mehr.
Fünftens | Gesellschaft: Bis zu diesem Punkt kann man mit Eigenleistung versuchen, den Markt für sich zu erobern, um gesehen zu werden als Autor mit seinen Produkten. Das Echo, das man bekommt oder der Schatten, den man gesellschaftlich wirft, hängt aber eben doch in letzter Konsequenz von den gesellschaftlichen Umständen und der Zeit ab, in der man den Markt betritt. Das historische Hintergrundrauschen ist eben mindestens so entscheidend wie die ersten vier vom Autor selbst beeinflussbaren Schritte. Eine Strategie, die in den sechziger Jahren, als ich zur Welt kam noch tauglich war, ist in den neunziger Jahren kaum noch wirksam. Eine aktuelle Analyse des Marktes ist also ebenso unerlässlich wie eine historische des Status quo. Ein Autor, der heute ökonomisch und literarisch erfolgreich sein will, braucht nicht nur einen langen Atem, sondern auch eine hohe soziale Kompetenz und den unbedingten Willen, die multimediale Welt, inklusive World Wide Web, umfassend für sich zu nutzen. Die Schrift alleine, das Wort reicht längst nicht mehr aus, um in die Mitte der Gesellschaft und des literarischen Betriebes vorzustoßen.

Zuletzt: All den Widrigkeiten des Betriebes zum Trotz, bin ich geworden, was ich mir mit siebzehn Jahren geschworen habe zu werden: ein Schriftsteller und ein Lehrer. In beidem war und bin ich aus persönlicher Sicht erfolgreich. Aus gesellschaftlicher Perspektive kann ich mich nicht einen erfolgreichen Schriftsteller nennen, denn wer nicht auf dem Markt sichtbar ist, existiert nicht. Als Lehrer hingegen war ich präsent, werde ich meinen Kund*innen, den Schüler*innen, in unterschiedlichster Art und Weise in Erinnerung bleiben. Aber dieses potentielle Echo, das ich in den Schüler*innen hinterlasse, ist nur zum Teil der Rolle, die ich ausübe, zu verdanken, sondern eben auch dem geschuldet, dass ich ein Schriftsteller bin, einer der den Weg im Abseits gesucht und gefunden hat. Und als Abseitigen, Eigenartigen und Befremdlichen einer Lehranstalt wird man sich möglicherweise noch in Jahren an mich erinnern. Weil ich eben einer bin, dem die Ökonomie des Marketings weniger wichtig ist, als das literarische Schreiben und das freie und kritische Denken. Und dem die Gewissheit, selbst über seine Texte verfügen, wichtiger ist, als in der Mitte zu leben. Der Preis, den ich in meiner Zeit, als Boomer zu zahlen hatte, war: Geschrieben zu haben, um zu den anderen zu gelangen und dennoch immer in mir selbst sesshaft zu bleiben.

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eingestellt: 16.12.2023 | zuletzt aktualisiert: 16.12.2023
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