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Zu Weinachten 1987 war es vorbei | Erstversuch
In Österreich ticken die Uhren anders. Immer schon. 1848 sind wir kläglich mit einer Revolution gegen den Kaiser gescheitert. Kriege haben wir grundsätzlich verloren. Wir sind geboren, um zu heiraten und damit unsere Macht zu erhalten. Und auch im 20. Jahrhundert lief es nicht besser. Mit dem Jahr 1968 begann überall in der Welt eine Phase des außerinstitutionellen Widerstandes, in Deutschland mündete dieser auch in einer außerparlamentarischen Oppositition, der sogenannten APO. Aus diesem Aufbäumen der Jugend gingen Ende der sechziger Jahre nicht nur Student*innenbewegungen, terroristische Organisationen und letztlich die Partei der Grünen hervor, sondern sie brachten auch neue Formen des kulturellen, sozialen und politischen Diskurses und der alltäglichen Lebenspraxis.
In Österreich können wir für diese Entwicklung zwei wichtige Ereignisse festmachen, die den Beginn und das Ende eben dieser außerinstitutionellen Widerstandsformen markieren.
Zu Beginn die Besetzung des Inlandschlachthofes, die wir heute unter dem Schlagwort Arenabesetzung (1976) kennen, in dem sich in Österreich, wie immer verspätet, eine sich formierende Kulturbewegung durch die kulturpolitische Öffnung unter Kreisky ihren längst überfälligen Freiraum erstritt. Und am Ende dieser Entwicklung steht die Sozialabbaubewegung, die 1987 in Studentenstreiks und einer Welle an Demonstrationen mündete und schließlich nach den Weihnachtsferien den Beginn einer Institutionalisierungswelle im kulturellen, sozialen und politischen Gefüge markierte. Die österreichische Sozialpartnerschaft hatte damit auch die Ränder der Gesellschaft erreicht.
Die Weihnachtsferien 1987 markieren nach den Weihnachtsferien 1984 und dem „Sieg“ in Hainburg das Ende eines Jahrzehnts des kulturellen und politischen Aufbruchs. Was danach kam, war ein politischer Abgesang, waren sentimentale Reflexe auf besser Widerstandszeiten. In diese elf Jahre fielen zahllose wichtige soziale Bewegungen, die allesamt in der Institutionalisierung und Marginalisierung endeten. Vor allem bei den „Grünen“ ließe sich dieser Prozess besonders deutlich nachzeichnen.
1986 vereinigten sich die bürgerlichen und linken Zweige der Grünbewegung zu einer einzigen Partei. Kontinuierlich wuchs die Partei, bis sie sich in den Wahlen 2017 wieder spaltete und gegen einen der Gründungsheroen verlor und aus dem Parlament flog, um zwei Jahre später in den Nationalrat und in die Regierung zurückzukehren. Zu Fragen wäre, ob sie damit nicht ihre Bedeutung als kraftvolle Bewegung nun endgültig ihr Ende gefunden hat. Die nächsten Monate werden dies zeigen.
Doch zurück zum Thema: In der Zeit von 1976 bis 1987 finden in Österreich zahlreiche Transformationsprozesse statt, die zwar bis heute wirksam sind, aber seit damals Stück für Stück, scheibchenweise, zurückgenommen wurden. Zu den bedeutensten Ereignissen, die von einem Großteil der Bevölkerung unterstützt wurden, zählen die Verhinderung des Atomkraftwerkes in Zwentendorf (1978), die zahlreichen Friedensdemonstrationen gegen die Aufrüstung (1981) und schließlich die Besetzung der Hainburger Au. Dieser kulturelle und politische Widerstand kam jedoch nicht plötzlich und aus dem Nichts, sondern ihm ging eine Öffnungspolitik unter der Alleinregierung der SPÖ voraus. Das Kabinett Kreisky hat in allen wichtigen Lebensbereichen Reformen durchgeführt, die bis heute die österreichische Gesellschaft prägen. Seiner Politik ist auch geschuldet, dass der soziale Umbruch nicht in gewalttätigen Aktionen endete, sondern in den meisten Fälen diskursiv gelöst und vor allem ökonomisch befriedet wurde.
Allerdings ist die Schattenseite dieses sozialpatnerschaftlichen Umgangs mit den kulturellen und politischen Bewegungen des österreichischen Jahrzehnts der Transformation, dass durch die Institutionalisierung all dieser Bewegungen der Widerstand in weiten Teilen der Bevölkerung, vor allem in der Mitte, erlahmte und der Aufstieg Haiders ohne größere Störaktionen vor sich gehen konnte. Es zeigt sich in der Zeit nach 1987 deutlich, dass es eben keine politisch-linke Bewegung war, die hier in Gang gekommen ist, wie es in Deutschland oder italien der Fall gewesen war, sondern es wurden Fragen nach kultureller und sozialer Teilhabe gestellt. Im Kern ging es um eine verspätete und nachgeholte Sozialdemokratisierung der Gesellschaft.
Im selben Maße wie die kulturellen Bewegungen ökonomisch unterfüttert wurden, zogen sie sich auch in ihre Institutionen zurück und die Formen des gelebten Widerstandes folgten diesem Institutionalisierungsprozess. Das Fax-Gerät wurde zu einem der wichtigsten Instrumente des kulturellen und politischen Diskurses. Was nach Weihnachten 1987 geschah: Lichtermeer (1993) und Donnerstagsdemos (2000) waren Teil des politischen Abgesangs beziehungsweise eine verzweifelte und hilflose Reaktion auf den sich immer weiter verengenden gesellschaftlichen Diskurs, auf das Zerbröckeln des aufgeklärten Bürgertums und letztlich auf die Implosion der Aufklärung. Es war ein Aufbäumen der Menschen aus dem Jahrzehnt des Aufbruches, die noch nicht wahrhaben wollten, dass sie gescheitert waren.
Nun werden einige einwenden: Und was ist mit Fridays For Future? Darauf antworte ich: Diese Bewgegung ist völlig anders. Sie begreift sich nicht als eine Fortführung des Widerstandes der sechziger, siebziger und achtziger Jahre. Sie ging aus der Aktion einer schwedischen Schülerin hervor, die sich mit einem selbstgebastelten Plakat auf die Straße hockte. Die Bewegung Fridays For Future hat in ihrem Diskurs und in ihren Aktionen bereits das Scheitern in sich getragen, da sie nicht auf den Sturz des Kapitalismus abzielte, sondern immer die Rettung der Natur im Focus ihrer Aufmerksamkeit hatte. Die Natur, oder was wir darunter verstehen, ist jedoch nur gegen den Kapitalismus zu retten, nicht mit ihm. Es bleibt wie damals, die Fragen zu klären: Wer regiert wen? Wer beutet wen aus? Und nicht: Wer zerstört die Natur?
Und bevor ich zum Ende komme, noch eine sinngemäße Widergabe foucaulschen Denkens: Nach wie vor ist Kritik nur dann sinnvoll, wenn sie in Betracht zieht, dass sie dazu dient, ein System zu ändern, um nicht weiter dermaßen regiert zu werden. Ich denke, es gab in den sozialen, kulturellen und politischen Bewegungen von Juni 1976 bis Weihnachten 1987 zahlreiche Menschen, die sich die Frage gestellt haben, was man tun könnte, um nicht dermaßen regiert zu werden, doch sie haben mit Hilfe ihrer Bewegungen nicht die Regierung gestürzt, sind nicht zum Winterpalais marschiert, sondern haben sich als Antwort auf die Bedrohungen der Aufklärung, die sich bereits damals abzeichneten, institutionalisiert und in ihre kleinbürgerlichen Puppenhäuser zurückgezogen.
Und das liegt darin begründet, dass die Linke in Österreich sozialdemokratisch denkt und nicht revolutionär. Der Aufstieg Haiders und die heutige rechte Mitte ist ein Ergebnis eines Institutionalisierungsprozesses, der von Kreisky gefördert wurde. So wurde der Versuch, die Gesellschaft zu befrieden und den Machterhalt der Sozialdemokratie zu sichern, der Garant dafür, dass die österreichische Rechte, die tief in unserer Gesellschaft verankert und radikal wie eh und je ist, an der Jahrtausendwende wie ein Phönix aus der Asche steigen konnte. Was Kreisky im Grunde erreichen wollte, war die Zersplitterung der bürgerlichen Partei, sodass nichts größer werden könnte als die Sozialdemokratie und man gegen sie nie eine Regierung bilden könnte. Womit Kreisky nicht gerechnet hatte, waren die Beharrungskräfte der Reaktion von 1848. Doch das ist eine andere Geschichte.
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eingestellt: 13.8.2024 | zuletzt aktualisiert: 13.8.2024
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