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Aus dem Homeoffice eines Unbrauchbaren XXII
Über den Widerstand


Wir Boomer wissen nicht viel über den Widerstand von Menschen zu berichten. Vielleicht sind wir eine Generation, die nie gelernt hat den Staat grundsätzlich, in einer revolutionären Weise in Frage zu stellen, denn wir waren damit beschäftigt, uns in einer Zeit der Orientierungslosigkeit zu orientieren, in einer Zeit, in der man vom Verlust der Aufklärung und dem Rückzug des bürgerlichen Individuums aus dem politischen, also aus dem kollektiven Raum, nichts wusste, aber diesen hautnah erleben konnte und musste.

Wir sind eine Transitgeneration, den Expressionisten näher als unseren älteren Brüdern und Schwestern, die sie heute die Achtundsechziger nennen. Wir sind eine Generation, die verlernt hat in utopischen, revolutionären Kategorien zu denken. Gleichzeitig haben wir aber auch den reformistischen Geist der Sozialdemokratie niemals akzeptiert, weil wir gesehen haben, wohin der Reformismus führt, nämlich in eine erstarkte rechtspopulistische Politelite, die in den letzten vierzig Jahren alles dafür getan hat, die Gesellschaft zu entideologisieren und somit die Demokratie ihres ureigensten politischen Kerns beraubt hat, dem ideologischen Meinungsdiskurs, um sie letztlich in eine Art von ökonomischen Selbstbedienungskapitalismus umzubauen.

Das wäre ja noch nicht das Schlimmste, wenn sich die Bürger eigentlich nur aus der Tagespolitik zurückgezogen hätten, um die Gesellschaft von Unten, durch eine Art Graswurzelbewegung zu verändern. Was sie im Übrigen natürlich nicht getan haben.

Problematisch an dieser umfassenden Entideologisierung ist, dass das Gewaltmonopol des Staates in der Form gestärkt wurde, sodass jeder Widerstand, der von Bürgern kommt, sei er auch noch so gerechtfertigt, kriminalisiert wird. Politischer Widerstand, der die Lage der Menschen aufzeigt, der utopisch oder auch dystopisch argumentiert und damit sein Handeln legitimiert, wird mittlerweile als verbrecherische Tat angesehen und bereits der Gedanke daran mit Präventivhaft bedroht. Nein, nicht nur bedroht, sondern diese Präventivhaft wurde und wird bereits verhängt. Und nicht nur in unseren Nachbarländern, sondern auch auf der britischen Insel, wie bei der Krönung von Charles dem III. zu beobachten war. Wir haben in den letzten Jahren eine Ausweitung der Befugnisse der Staatsgewalt, vertreten durch Richter und Polizei in Österreich erlebt, die angesichts der digitalen Möglichkeiten ohne Beispiel ist. Bereits im Deutschen Herbst konnte man als Zuseher diese Prozesse miterleben, sozusagen live im Fernsehen verfolgen, als der Staat erstmals in unseren Nachkriegsrepubliken Terroristen alleine und ausschließlich zu Kriminellen erklärte und letztlich durch einen Sondergerichtshof in Stammheim verurteilten ließ. Der Kampf um die Anerkennung der RAF als politische Widerstandskämpfer ging dabei vollkommen verloren und mit diesem verlorenen Kampf wurde der legitime und aktive, gewalttätige Widerstand gegen autoritäre Strukturen in Staat und Gesellschaft innerhalb einer Demokratie nachhaltig zu Grabe getragen. Beteiligt an diesem Prozess war an vorderster Front ja nicht eine rechtsliberale oder rechtskonservative Regierung, sondern die deutsche Sozialdemokratie. Das hat ihrer Glaubwürdigkeit schwer geschadet und ich denke, davon hat sie sich, insbesondere bei jenen, die sich aktiv im Widerstand gegen das kapitalistische System befinden, bis heute nicht erholt.

Nun hatten wir in Österreich nicht wirklich ein Terrorismus-Problem. Wir hatten überhaupt und insgesamt wenig Probleme mit aktivem Widerstand. Vielleicht lag es auch an den Kreisky-Regierungen, die mit Weitsicht und einem ideologisch fundierten Umbau der Gesellschaft dazu beigetragen hat, dass die Gegensätze, die schon in den siebziger Jahren in der Gesellschaft vorherrschten, nicht offen ausbrachen, sondern bereits befriedet werden konnten, bevor sie sich in gewalttätigen Aktionen entladen konnten. Was wir in Österreich hatten, war, wie es Fritz Keller in seinem gleichnamigen Buch beschrieb, eine heiße Viertel Stunde. Ein künstlerischer Schiß auf den Katheder im Audi-max der Universität Wien. Das war ohnehin das Einzige, wozu österreichische Kunst und Kultur in der Lage war: sich anzuscheißen im Angesicht des Verlustes der aufklärerischen Errungenschaften eines sapere aude, habe Mut dich deines Verstandes zu bedienen.

ÖsterreicherInnen greifen niemals den Staat an, denn wir sind ein Volk, das von Kaisern und einem absolutistischen Metternich, von Hahnenschwanzlern und nationalsozialistischen Totschlägerbanden jahrhundertelang und maßgeblich geprägt wurde. Wir sind ein Volk, dem über Jahrhunderte gelehrt wurde, dass heiraten besser sei, als Krieg zu führen, dem gelehrt wurde, dass Tarnen und Täuschen mehr Vorteile bringe, als aktiv die Nachteile zu bekämpfen, die Herrschende über uns durch ihre politische Gesetzeskraft verhängen. Die Österreicher sind eine Bande von opportunistischen Lügnern und Blendern, Scharlatanen und Gschichtldruckern.

Das muss man wissen, um zu verstehen, warum wir bereit sind, den Widerstand der Klimaaktivisten einfach so und von allgemein politischer und medialer Seite zu kriminalisieren sowie sie gewissermaßen dem Mob der Straße auszuliefern.

Eines noch: Es gab zwei große Bewegungen in diesem Land, die es geschafft haben, mit gewaltlosem Widerstand zu beweisen, dass die aufklärerischen Momente noch nicht ganz verloren waren.

Es waren das die Bewegungen um Zwentendorf und Hainburg, die einerseits eine Aufbruchsstimmung bewirkten und letztlich die Grünen ins Parlament brachten, andererseits auch durch diesen Pyrrhussieg den Widerstand institutionalisierte und somit von der Straße holte, letztlich ideologisch und politisch entkernte.

Es hat beinahe vierzig Jahre gedauert, bis sich nach Hainburg wieder Widerstand soweit formierte, dass er außerhalb des institutionalisierten politischen Systems sichtbar werden konnte, nämlich in Form der Klimaaktivisten von Fridays For Future und den sogenannten Klimaklebern der Letzten Generation. Kaum hatten die Aktivisten dieser Gruppe ihrLabel erhalten, wurden sie auch schon diffamiert und ihre Ziele delegitimiert.

Der Erfolg von Fridays For Future lag ja vielleicht darin begründet, dass sie einerseits als Selbstbezeichnung eine wunderbar marktkonforme Alliteration wählten und andererseits dass es sich bei den Aktivisten in der Mehrzahl um Kinder und Jugendliche handelte. Diese Kinder sind nun erwachsen geworden und auf Grund ihres offensichtlichen und alltäglichen Scheiterns, weil letztlich niemand sie politisch wirklich ernst nahm, haben sich manche Teile radikalisiert. Letztlich, und das war nicht schwer vorherzusagen, haben sich einige von ihnen in den organisatorischen Strukturen der Letzten Generation und der Extinction Rebellion zum aktiven und provokativen Widerstand entscheiden.

Angegriffen werden sie jedoch nicht nur wie immer von der bürgerlichen Rechten, sondern vor allem von der sogenannten linksliberalen Mitte, also denen, die ihre historischen Vorläufer sind und die heute in den Parlamenten herumlungern und ebenso erfolgreich die Zeichen der Zeit übersehen, wie die konservativen Kreise es in den Sechziger Jahren taten. Von den Grünen, die ihre eigene Widerstands-Geschichte vergessen zu haben scheinen, die sich nie auch nur einmal auf diese gesellschaftliche Pflicht zum Widerstand berufen, um ihre Forderungen zu legitimieren, ist keine Unterstützung zu erwarten, denn sie leiden an einer historischen Amnesie. Die Umweltbewegung ist in Form der grünen Parteien in den neunziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts in der Mitte der Gesellschaft angekommen und damit war es vorbei mit ihrem legitimen Kampf für die Rettung des Klimas.

Was ich damit sagen möchte: Die Zeichen der Zeit stehen nicht gut für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, denn die Losungen der sechziger Jahre: Macht kaputt, was euch kaputt macht oder Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht werden von den Kindern derer, die die Losungen und Parolen auf den europäischen Straßen gerufen haben, heute in den Medien und den Staatsschutzämtern diskreditiert und diejenigen, die sich in ihrem Handeln in der Tradition dieser Losungen verstehen, werden kriminalisiert.

Das ist die eigentliche Tragödie unserer Zeit und zugleich auch die Farce des Versagens der sogenannten Achtundsechziger. Nach ihrem verlorenen Kampf gegen die Gewaltmechanismen des liberalen Kleinbürgertums, ihrem verlorenen Kampf gegen jene, die ihre rechten Attacken gegen die Demokratie geritten haben, und nach ihrem Einzug in die Parlamente, Schulen und Mediengesellschaften haben sie es nicht geschafft, ihren eigenen politischen Ideen und gesellschaftlichen Vorstellungen treu zu bleiben und diese innerhalb des Systems zu vertreten. Vielleicht oder gerade eben weil sie keine revolutionäre Generation waren, sondern dies immer nur wie ein Mantra vor sich hertrugen, ohne jemals ernst zu machen. Als sie es endlich mit diesem Mantra an die Futtertröge geschafft, ihren linken Rand erfolgreich verleugnet und dem Staatsschutz ausgeliefert hatten, konnten sie es sich endlich in ihren – ebenso sexuell frustrierenden und konservativen -Beziehungen sowie ihren – ungeheuer behaglich eingerichteten – Einfamilienhäusern gemütlich machen und – in Frieden – satt und gemütlich alt werden. Ihren, von ihnen angekündigten, langen Marsch durch die Institutionen, haben sie zwar wie versprochen angetreten, und er hat sie eben in die Mitte der Gesellschaft geführt, vor allem aber in die trostlose Wiederholung des kleinbürgerlich biedermeierlichen Lebens ihrer Eltern. Sie haben es verabsäumt, die Welt sozialer und gerechter zu machen, wie sie es ausgerufen und versprochen hatten. Und was noch schlimmer ist: Sie haben dazu beigetragen die Gräben zwischen den Generationen zu vertiefen.

Nicht ihr Reformeifer ist hier in Frage gestellt, der war ungebrochen, denn schließlich waren sie Begleiter und Hervorbringer der gesellschaftlichen Sozialdemokratisierung, sondern der Verlust ihres revolutionären Aufbruches ist in Frage zu stellen, der Verlust und die Diskreditierung der eigenen Utopien. Sie haben den Rand verweigert, weil sie den Mut der Aufklärung verweigerten, als es darum ging, ein Risiko einzugehen. Mehr noch, sie haben mit ihrem Leben dazu beigetragen, dass der Widerstand, der sich nun gegen sie selbst richtet, gegen ihren Wohlstand, ihre politischen Ideen und ihre Selbstverleugnung als illegitim, kriminell und terroristisch diffamiert wird und das System dementsprechend handelt und verfährt.

Kurz gesagt: Die Aufklärung und die Errungenschaften ihrer auf sie folgenden Revolutionen sind an ein Ende gekommen. Und wir die Boomer sind ihre Totengräber. Das wird als unsere gesellschaftliche Leistung übrigbleiben.

Wir haben uns wie die Achtundsechziger aus dem legitimen Widerstand in unsere kleinbürgerlichen Puppenstuben zurückgezogen und kriminalisieren alles, was unseren Wohlstand gefährden könnte.

Da sage ich, wie Brecht es einst formulierte: Da soll die Stadt untergehen, durch ein Feuer, bevor es Nacht wird.

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eingestellt: 24.6.2023 | zuletzt aktualisiert: 24.6.2023
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