literaturgeschichten | chronos | kommentar | publikationen | index | downloads | impressum |
[Unbrauchbar XX] blättern [Unbrauchbar XXII] |
Über das Urheberrecht
Da ist er wieder, der Endkampf um das Urheberrecht. Schon am Beginn des Jahrtausends haben Napster und Spotify die Musikbranche das Fürchten gelehrt. Heute sind es Schreibprogramme oder selbstlernende Algorithmen, die Texte und Bilder generieren, deren Grundlage Millionen anderer Bilder und Texte sind. Der Unterschied zu damals allerdings ist, dass Napster und Spotify Songs von Künstlern nutzten, um sie ins Netz zu stellen. Sie haben sie nicht verändert, sie wurden als Original genutzt und hier greift natürlich das Urheberrecht. Doch nun sind neue Plattformen auf dem Markt. Sie stellen nicht mehr Originale der Künstler*innen ins Netz, sondern trainieren mit diesen ihre Algorithmen. Nun sind die Agenturen und Künstler*innen, die die Trainigsbilder hergestellt haben, nicht erfreut darüber und klagen.
Ist das illegal, wenn ich Bilder anderer Nutze, um eine Plattform hervorzubringen, die unendlich viele Variationen der Ursprungsbilder herstellen kann, um damit Geld zu verdienen. Ist das nicht im Grunde das Wesen der Kunst. Aus früheren Originalen etwas Neues zu machen. Wieviele Bücher habe ich denn gelesen, um auch nur eines meiner eigenen Bücher zu schreiben. Wieviele Gedanken aus Gesprächen mit Menschen habe ich genutzt, um meine Gedichte zu formulieren, ohne anzugeben, von wem sie stammen. Wir Künstler*innen verletzen permanent das Urheberrecht anderer Menschen, auch wenn wir sie nicht direkt zitieren. Das gesamte Urheberrecht steht in Zeiten der digitalen Medien auf wackeligen Beinen und somit auf dem Prüfstand.
Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Verhältnis zur künstlerischen Produktion. Ich bleibe dabei, ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine gleichberechtigte Partizipation aller an der Produktivität der wirtschaftlichen Leistung der Gesellschaft würde das Urheberrecht obsolet machen, denn wenn es keine Profite gibt, dann ist auch die Kunst vergesellschaftet. Wer ein Kunstwerk sehen will, soll Zugang dazu haben, unabhängig von seinem Einkommen und seinem sozialen Status. Doch heute kaufen Kunsthändler mit Kapital, das sie im kapitalistischen Warenkreislauf verdient haben, alles mögliche Zeug auf, auf Verdacht, dass es einmal Profit abwerfen wird und die künstlerischen Produkte verschwinden in Archiven. Seltsamerweise kümmert sich bei Büchern keiner um derartige Dinge. Jeder kann jedes Buch in einer Bibliothek ausleihen, weil beim Buch das Original spätestens seit Gutenberg eine untergeordnete Rolle spielt. [Nur nebenbei gesagt, vielleicht ist die schreibende Zunft deshalb immer ausgeschlossen, wenn von künstlerischer Produktion gesprochen wird, denn dann ist meist bildende Kunst, Musik, Schauspiel gemeint. Wenn es heißt die Künstler*innen, dann sind die Schriftsteller*innen und Dichter*innen meist nicht mitgenannt.] Das ursprüngliche Manuskript kümmert nur Germanist*innen, Kulturkritiker*innen oder ein paar verschrobene Sammler*innen. Die Kopie ist beim Buch immer schon das Wesentliche gewesen. Wir Autoren verkaufen keine Originale, sondern immer das Recht auf die Kopie, deshalb eignet sich das Buch derartig gut für Demokratisierungsprozesse, weil es leicht verfügbar ist. Ein Bild zu reproduzieren, ist aufwendig. Ein Buch zu drucken, ist heute, in Zeiten der digitalen Medien, eine relativ einfache Angelegenheit. Man braucht eine eine Kopiermaschine, einen versierten Buchbinder und Strom. Farbe noch. Einen Computer. Software. Alles Dinge, die auf dem freien legalen Markt verfügbar sind.
Deshalb kämpfen gerade Autor*innen so erbittert um das Urherberrecht, denn es ist ihr einziger Schutz vor Verarmung und Bedeutungslosigkeit. Doch in Wahrheit geht es darum, wer soll das Recht haben freien Zugang zur künstlerischen Arbeit zu haben, ohne gleichzeitig einem Brotberuf nachgehen zu müssen. Kunstproduktion ist letztlich ebeno kapitalistischen Interessen und Zwängen unterworfen, wie jede andere Form der Produktion in unserer Zeit. Und jede Generation bringt eine unüberschaubare Zahl an Künstler*innen hervor. Alle arbeiten mit hohem Einsatz und unter prekärsten Bedingungen für das, woran sie glauben, woran ihr Herz hängt und ihr Leben. Doch es schaffen nur wenige in die Mitte, an die Futtertröge, denn es ist immer Glück und Zufall im Spiel, um an die Spitze zu gelangen und eine gute verwandtschaftliche Vernetzung hilft auch, wie die Familienbiographien der Manns und Hesses zeigen. Das Urheberrecht schützt also vor allem diejenigen, die bereits an den Futtertrögen sitzen. Kunst ist längst zur Ware verkommen, was sage ich, war immer schon eine Ware, auch wenn der Wert dieser Ware sich daran misst, dass die Gesellschaft ihr eine Bedeutung zumessen muss, um sie verkaufen zu können oder damit sie jemand kaufen möchte. Das ist ja das Elend des Kapitalismus. Wir kaufen und verkaufen Waren oft nur deshalb, weil sie einen Wert haben, nicht einen Nutzen, weil ein Angbeot vermittels Werbung eben eine Nachfrage erzeugt. Wir haben die ursprüngliche Produktionsweise der Menschen, in der eine Nachfrage ein Angebot erzeugt, in eine verwandelt in der das Angebot die Nachfrage bestimmt. Wir messen Gold einen Wert zu, deshalb ist es teuer, nicht weil es einen Nutzen (außer in sehr spezifischen Herstellungsprozessen) hat. Nun gut, es ist auch einrares Gut. Natürlich ist es komplexer, als eben gesagt. Aber der Grundsatz gilt: Ein Klimt ist ja nur deswegen teuer, weil ihm einen Wert beigemessen wird. Das Werk an sich ist wertlos. Eien Leinwand, ein wenig Frabe darauf und der Geist eines Menschen, der sich darin zeigt.
Wenn wir wirklich die Künstler*innen und ihre Interessen schützen wollten, dann würden wir es auch hier mit dem guten alten Brecht halten, der zwar in diesen Fragen immer verdächtig ist, aber deshalb nicht automatisch unrecht hat, wenn er sagt: Gebt ihnen Geld!. Ich würde noch weiter gehen: Gebt ihnen Geld unabhängig vom Wert ihrer künstlerischen Produktion, denn der Wert eines Kunstwerks ist immer ein ideeller, niemals ein industrieller. Der industrielle Wert eines Kunstwerks richtet sich immer an seine Reproduktionsfähigkeit, nicht auf seine Originalität. Deshalb der Streit über das Urheberrecht. Auch das Urheberrecht schützt immer die Kopie, nicht das Original. Kunst entzieht sich gewissermaßen der kapitalistischen Logik, außer die Gesellschaft beschließt, der Kunst einen ökonomishcen Wert zuzumessen. Und dieser Wert ist es, der die Künstler*innen und ihre Werke der kapitalistischen Logik unterwirft und sie in ein Spiel zwingt, in der ihre Existenz nicht vom Kollektiv aller abhängig ist, sondern vom Willen Einzelner. Damit unterscheiden sich Künstler*innen in keinsterweise von Lohnarbeiter*innen. Nur ist dieses Verhältnis zum Kapital nicht so transparent wie in der Lohnarbeit, es ist ein verdecktes ökonomisches Verhältnis, nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Deshalb fühlen sich Künstler*innen immer als etwas Besonderes, Herausragendes, Erhabenes. Ihre Abhängigkeiten und Unfreiheiten tarnen sie gerne mit Heroismus. Doch das liegt eben nicht im Produkt selbst begründet, sondern in der ideologischen Position ihres gesellschaftlichen Handelns. Was sie dabei übersehen, ist: Auch in der Kunst bestimmt der Wert den Preis. Mehr noch: Der Wert der Künstler*innen selbst wird durch den Preis, der ihrer Kunst zugemessen wird, bestimmt. Entwerten wir die Produkte, entwerten wir die Künstler*innen. Und von der Abwertung zur Marginalisierung und letztlich Ausgrenzung ist es immer nur ein kurzer Weg.
Abgesehen von allem kapitalistischen Gerede, ist das, was KI-Plattformen tun, im Grunde nichts anderes, als zu lernen. Künstliche Intelligenzen lernen, wie man künstlerische Produkte aus antrainierten künstlerischen Inhalten neu zusammenstellt und hervorbringt. Niemand würde auf die Idee kommen, mich als Schriftsteller aufzufordern, meine Quellen offenzulegen und meinen Sprachgebrauch auf Ähnlichkeiten mit Brecht, Hesse, Kafka oder Bachmann zu durchforsten (außer vielleicht ein paar unentwegte und unverdrossene Germanist*innen), um dann auf Urheberrechtsverletzungen zu klagen. Ich bin, wer ich bin, weil ich auf den Grundfesten der deutschsprachigen Literatur stehe. Ich bin, was ich schreibe. Ich bin nichts Eigenes, sondern ein aus einer mir fremden Sprache geborener Dichter, der sich aus millionen Wortfetzen anderer Dichter sein eigenes Werk geschaffen hat. Ich gestehe, ich verletze täglich das Urheberrecht der toten und der lebenden Autor*innen. Ich bin ein sprachlicher Leichenfledderer. Doch um klagbar zu sein, müsste ich mit meinen Werken Geld verdienen. Ich entziehe mich der Urheberrechtsdebatte auf Grund meiner Bedeutungslosigkeit als Künstler. Der Unbrauchbare ist selbst für den kapitalistischen Markt unsichtbar und daher wertlos.
[Unbrauchbar XX] blättern [Unbrauchbar XXII] |
eingestellt: 25.5.2023 | zuletzt aktualisiert: 25.5.2023
index: [a] |
[b] |
[c] |
[d] |
[e] |
[f] |
[g] |
[h] |
[i] |
[j] |
[k] |
[l] |
[m] |
[n] |
[o] |
[p] |
[q] |
[r] |
[s] |
[t] |
[u] |
[v] |
[w] |
[x] |
[y] |
[z]
literaturgeschichten | chronos | kommentar | publikationen | index | downloads | impressum