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Aus dem Homeoffice eines Unbrauchbaren XX
Über die Echolosigkeit


Brecht hat mich gelehrt: Wo kein Aufruhr ist, wenn einem Menschen Gewalt angetan wird, ist es besser die Stadt solle in einem Feuer untergehen. Was mich Günther Anders gelehrt hat: Die Welt in der wir leben, ist uns nicht angemessen, sie ist nicht für uns da, sie ist nicht für uns gemacht, sondern wir werden ihr hinzugefügt. Kafka hat mich gelehrt: auf das Geworfensein in der gibt es nur drei Reaktionen – Anpassung, Widerstand oder Exil. Und aus diesen drei Lehren habe ich mir eine eigene gestrickt und eine Lebenshaltung abgeleitet, die ich zwar immer angestrebt, aber doch selten umgesetzt habe.

Aus dem eben Gesagten leitet sich für mich folgende Feststellung ab: Der Mensch ist alleine, einsam und echolos, weil niemand ihn beschützt, weil die Menschen ihm nicht zu Hilfe eilen, wenn er in Not ist, weil die Menschen ihn nicht sehen, mit dem was er ist und sein will und weil die Menschen nicht bereit sind, für ihn einzustehen, wenn er es am nötigsten braucht, weil sie immer Fragen, was ist mein Nutzen.

Und diese Echolosigkeit ist das Ergebnis der Moderne, der technologischen Zivilisation, des Technozäns und sie ist der Urgrund allen Elends in der Welt. Und weil dem so ist, müssen wir unser Denken und Handeln wandeln. Wir sollten uns der fundamentalen Erkenntnisse der Aufklärung bedienen, die da wären: Solidarität und Widerstand, denn nur wo man sich heimisch fühlen kann und andere einem beistehen, wirft man ein Echo in der Welt und kann die Welt sich in eine wandeln, die uns angemessen ist, die für uns gemacht ist und der wir nicht einfach nur hinzugefügt wurden, wie ein Teil unter abermilliarden Teilen. Wir wären dann nicht Produkt eines biologischen Aktes, das Produkt des Gebärvorganges, diesem gewaltigen und gewalttätigen körperlichen Akt, der uns durch den Geburtskanal ins Licht der Welt bringt, sondern eben auch ein Fest der Ankunft, der Aufnahme, der Freundlichkeit.

Und wenn wir der Gewalt in der Welt, die uns diesen Akt der Freude im Laufe unseres Lebens aus den Knochen bricht, die dieses Fest am Ende des Tages in einem Massaker enden lässt, die diese Freundlichkeit in Hass verwandelt, schon nicht Widerstand leisten können oder wollen, weil unsere Angst und Mutlosigkeit uns lähmt, dann sollten wir doch zumindest den letzten Rest an Menschlichkeit, der in uns noch lebendig ist, dazu nutzen, dem anderen zuzurufen, ich sehe dich, ich sehe dein Leid, ich spüre deine Not.

Wir sollten dem anderen einen Beweis dafür geben, dass seine Existenz für uns von Bedeutung ist und wir sein Schweigen verstehen, denn Schweigen ist nichts weiter als Ausdruck einer inneren unausprechlichen Not. Kinder schweigen noch nicht. Nie stehen ihre Gedanken, Münder und Körper still. Erst die Welt, die sie umgibt, zwingt sie zur Stille, zum Stillstand. Und nur bei den Stärksten unter ihnen verfängt die knochenbrechende Unterwerfung, die mörderische Gewaltherrschaft nicht. Sie sprechen, auch wenn man sie schlägt. Sie kämpfen, auch wenn man sie unterwirft. Und sie sind bereit für dieses Sprechen manchmal auch zu sterben.

Deshalb plädiere ich für ein Leben, das erfüllt ist vom Sprechen, vom Handeln. Aber nicht um des Sprechens und Handelns Willen alleine, denn in unserer modernen, durchökonomisierten Mediengesellschaft wird mehr gesprochen als je zuvor, aber dieses Sprechen erzeugt nichts weiter als Lärm und dieser dient nur dazu, die Schreie derer, die in Not geraten sind, nicht hören zu müssen. Nein, es bedarf eines solidarischen, freundlichen und widerständigen Sprechens und Handelns, dass die Menschen einander näher bringt, ihnen Raum gibt, damit sie gesehen werden können, in dem was sie sind und noch viel wichtiger, in dem was sie sein wollen. Wir brauchen ein unterstützendes Sprechen und Handeln, sodass das Schweigen sich in Sprache verwandelt und der Krieg des Menschen gegen den Menschen, der von Anbeginn der Zeit in unserer Welt tobt, endlich endet.

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eingestellt: 20.4.2023 | zuletzt aktualisiert: 20.4.2023
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