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Über den Gebrauch der Lohnarbeit
Der Lohnarbeiter ist von jeher nur einen Schritt von der Sklaverei entfernt. Was ihn vom Sklaven unterscheidet, ist das Eigentumsverhältnis zu seinem Arbeitgeber. Arbeitgeber besaßen früher ihre Arbeiter mit Leib und Seele und beherrschten sie mit Haut und Haar. Und kündigte ein Sklave, sprich, machte er sich auf und davon, war er Freiwild und dem Tode geweiht. Der Sklave war also nicht mehr und nicht weniger dem Tier gleich, verfügbar und jagbares Wild in freier Natur. Nun brachte die Befreiung der Sklaven die Lohnarbeit in die Welt. Ein Fortschritt, allemal. Doch am Knechtschaftsverhältnis hat sich nur das Eigentumsrecht verändert. Nun verfügt das Individuum, also der Lohnarbeiter, über sich selbst, über seinen Leib und seine Seele, er ist selbstverantwortlich für sein Überleben, für Haut und Haar, denn er ist ein freier Mensch in einer aufgeklärten Welt, manche von ihnen sogar Bürger mit Bürgerrechten. Doch diese Geschichte wäre an anderer Stelle zu erzählen.
In unserer Zeit herrscht jedoch seit mehr als einem halben Jahrhundert ein Begriffswirrwarr, was denn ein Arbeiter sei, ein Lohnarbeiter, ein Selbstständiger, ein Unternehmer, wer denn nun ein Gehalt beziehe und wer einen Lohn. Das hat durchaus mit einer Epoche zu tun, in der das historische Bewusstsein über die Herkunft und die Enstehungsgeschichte einer Gesellschaft rasant abgenommen hat und diese Selbstvergessenheit des bürgerlichen Individuums durch unsere Bildungsinstitutionen noch gefördert und befördert wird. Deshalb einige wenige Begriffsklärungen vorweg. Beginnen wir oben, an der Spitze der Nahrungskette, beim Unternehmer. Der Unternehmer ist der Eigentümer eines Unternehmens, der nicht nur über sein Unternehmen verfügen kann, sondern auch die rechtliche Herrschaft darüber besitzt. Ein Selbstständiger ist einer, der einen selbstständigen Beruf ausübt, also aus eigener Initiative handelt, aus eigener, erlernter Fähigkeit und diesen im Idealfall ohne Hilfe ausübt. Ein Rechtsanwalt ist also ein Selbstständiger, und ist er Eigentümer einer Kanzlei, ist er natürlich auch ein Unternehmer. Ein Arzt ist ein Selbstständiger, und ist er Eigentümer einer Klinik, ist er natürlich auch Unternehmer. Ein Schrifsteller ist ein Selbstständiger, und ist er Eigentümer eines Verlages, ist er selbstverständlich auch ein Unternehmer. Und so weiter und so fort. Ob jemand mit dem Unternehmen Gewinn macht, ist dabei unerheblich.
Nun zum Arbeitsnehmer, ein Begriff der genau das bezeichnet, was der Arbeitnehmer tut. Er nimmt Arbeit an, von einem Arbeitgeber. Was sich auf das erste Lesen hin plausibel und richtig anliest, verbirgt aber das tasächliche Abhängigkeitsverhältnis, dass auch im modernen Sozialstaat nach wie vor gültig ist. Der Arbeitgeber stellt Arbeit zur Verfügung, der Arbeiter oder der Angestellte bewerben sich um den Arbeitsauftrag in einem sogenannten Bewerbunsgegspräch, das vom Prinzip her keinem Regulativ unterworfen ist, der Arbeitgeber bestimmt also, ob er einem Arbeitnehmer Arbeit zuteilt. Wobei der Unterschied zwischen Angestellten und Arbeitern zwar minimal ist, aber nicht unerheblich, denn ein Arbeiter erhält einen Stundenlohn, ein Angestellter ein Monatsgehalt, was in Bezug auf die ökonomische Absicherung einen doch erheblichen Unterschied macht und die Willkür des Arbeitgebers gegenüber dem Angestellten doch ein wenig einschränkt.
Der Arbeiter ver-dingt sich also für eine Stunde und erhält dafür einen Lohn. Ich liebe diese alten Begriffe, die kaum mehr jemand nutzt. Der Arbeiter verdingt sich. Er macht sich zu einem Ding, zu einem Produktionsmittel, für die Stunden, die er seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Im Gegensatz zur Sklaverei wurde die Verdinglichung des Menschen durch die Herrschenden ausgelagert, in die private Sphäre. War ein Sklave ein Naturprodukt, eine Naturressource, über die man nach Belieben verfügen konnte, war der Arbeiter eben nur ein Ding, eine Ware, die man wie einen Rohstoff oder Energie zukaufen konnte, auf dem freien Markt. Und auf disem Markt muss sich der Arbeiter, jener, der sich nicht im Besitz von Produktionsmitteln befindet, anbieten, vermarkten und verkaufen. Der moderen Sozialstaat hat diesen Prozess zwar abgefedert, aber in seinem Kern nicht abgeschafft, weil es eben ein ökosozialer Staat mit kapitalistischem Antlitz ist. Und die zahllosen Krisen der letzten Jahrzehnte haben dies in besonderer Deutlichkeit vor Augen geführt.
Was will ich damit sagen. Wem dient die Lohnarbeit also. Wer profitiert von ihr und in welcher Weise. Marxistisch gesprochen, könnte man formulieren, Lohnarbeeit ist Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, um dem Unternehmer Gewinne (Mehrwert) zu verschaffen, den er für den eigenen luxuriösen Lebenswandel, seine gesellschaftlichen Freiheiten und die Sicherung seiner Herrschaftsposition nutzen kann. Dem könnte ich nicht widersprechen. Doch dann gibt es da noch diesen persönlichen, ganz individuellen Nutzen, den Lohnarbeit für denjenigen hat, der nicht Unternehmer oder Selbstständiger ist, nämlich für den/die in der Arbeiterschicht aufgewachsenen jungen Mann oder die aufgewachsene junge Frau, die sich beide in der Welt zurechtfinden müssen. Und sie haben heute den unfassbaren Vorteil, aus einer sozial einigermaßen gesicherten Position (zumindest in Österreich) mit Lohnarbeit ihr Auskommen einkommensmäßig zu sichern. Lohnarbeit ist also für die Habenichtse die Möglichkeit, sich und andere am Leben zu erhalten. Es ist das Überlebensmittel für den überwiegenden Teil der Menschen. Und so argumentieren die Unternehmer und Politiker auch. Sie sagen ja nicht umsonst: Floriert die Wirtschaft, geht es allen gut. Was sie dabei verschweigen, ist die Tatsache, dass diese Wirtschaft, von der sie sprechen, eben eine kapitalistische ist und dass von ihr die einen mehr und die anderen weniger und manche gar nicht profitieren.
Und weil ich in einem sozialistisch-kommunistischen Arbeiterhaushalt katholisch-protestantischer Prägung aufgewachsen bin, habe ich Kenntnis von diesen Vorgängen, nicht auf theoretischer Ebene, diesen Unterbau habe ich mir mehr recht als schlecht später angeeignet und er blieb immer lückenhaft, sondern sie entspringt einer sehr persönliche Kindheitserfahrung, die zwar nicht ausgesprochene Armut bedeutete, denn mein Vater hatte immer Arbeit, war nie ein Loser (heut ebezeichnet dieser Begriff als Anglizismus den Verlierer), ein Arbeitsloser, sondern immer in Lohn und Brot. Doch als Heranwachsender merkte ich rasch die Unterschiede, die zwischen mir und den anderen Schülern herrschten. Vor allem als Jugendlicher merkte ich, dass die einen bereits mit dem Flieger urlaubten, da reisten wir noch in Gewerkschaftsheime mit einem kostenlosen Eisenbahnerticket an die Kärtner Seen, die wir wohl ohne das Eisenbahnerdasein meines Vaters nicht zu Gesicht bekommen hätten. Während andere schon skiurlaubten, rodelten wir von den Hügeln des südlichen Wienerwaldes in die flachen Täler. Es war keine Kindheit und Jugend voll Entbehrungen, dafür haben meine Eltern gesorgt, denn das Wirtschaftswunder und die Sozialdemokartie haben ein Leben möglich gemacht, dass selbst mir ein eigenes Fahrrad und eine eigene Stereoanlage möglich gemacht haben, durch ehrliche und sommerliche Praktikantentätigkeiten, die ich in meinen Gymnasialjahren ausübte.
Aber auch ich musste irgendwann, am Beginn meiner Zwanziger, die Entscheidung treffen, wie ich als Kind einer Arbeiterfamilie meine Tage fristen wollte. Und meine Schulsozialisation brachte mich auf zwei Berufswege, die mich aus der Lohnabhängigkeit befreien konnten, also aus der entfremdeten Arbeit, die die meisten durchaus als Naturgesetz begreifen und längst nicht mehr in Frage stellen, also nicht im Geiste der Revolution krtisieren, sondern reformistisch, denn sie fordern nicht die Abschaffung der Lohnarbeit, sondern eine besser ökonomische Absicherung der Lohnarbeiter, im Grunde mehr Lohn. Im Gegnsatz dazu wollte ich der Lohnarbeit immer entkommen, da ich in meiner Familie und in dem Gemeindebau, in dem ich aufgewachsen war und später in der Schule sah, was sie mit Menschen anrichtete. Das mir das dauerhaft nicht gelungen ist, liegt wohl an meinem sozialen Gewissen, das aus meiner sozialistisch-protestantischen Erziehung resultiert. Im Mittelpunkt immer die Gemeinschaft.
Ich bin also auch in dieser Hinsicht ein Hybrid. Auf der einen Seite der Berufswunsch des Schriftstellers, ein Selbstständiger, der sich ständig selbst erhält, geistig ebenso wie ökonomisch, mit eigener geistiger Kraft und sich mit den daraus hergestellten künstlerischen Produkten auf den Markt wirft, in der Hoffnung, dass ein Unternehmer sie findet, aufgreift, vermarktet und mich dadurch reich und berühmt macht. Was ich dabei unterschätzt habe, in frühen Jahren, dass der Literaturmarkt ja nichts anderes als ein kapitalistischer Kunstmarkt ist, auf dem Strukturen wirken, die oft nur schwer zu durchschauen sind. Man muss netzwerken, ein hohes Maß an masochistischer Selbstentwürdigung mitbringen. Und nicht zu vergessen, man braucht eine Riesenportion Glück, das auch darin bestehen kann, in eine Familie geboren worden zu sein, die die Möglichkeit hat, Steine aus dem Weg zu räumen, die andere selbst mit bestem Willen nicht in der Lage sind, auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Nun Schriftsteller bin ich geworden und dabei durchaus erfolgreich. Aber, weil ich wusste, dass ich mich nur gemeinsam mit anderen dazu entwicklen kann, bin ich auch ein Unternehmer geworden, ein Verleger, eine Veranstaltungsproduzent, einer der die Buchproduktion, mangels an Glück (andere würden sagen an Talent) in die eigenen Hände genommen hat.
Der zweite Beruf, den ich ergriffen habe, ist jener des Lehrers, der ich auch seit frühester Jugend sein wollte und spät erst, am Ende meiner beruflichen und einkommenssichernden Laufbahn dann doch noch geworden bin. In diesem Beruf bin ich Arbeitnehmer, zwar ausgestattet mit einem Gehalt, aber ich spreche dennoch gerne von Lohn, denn das ist es, was ich am Ende des Monats bekomme. Der Abntrieb mich in die Lohnarbeit zu begeben, war letztlich der gleiche, der mich dazu brachte, einen Verlag mitzubegründen, mich und die meinen ökonomisch abzusichern, ein Überleben möglich zu machen, in einer Welt, die einen dazu zwingt, sein Auskommen durch lohnabhängiges Einkommen zu sichern. Und ich habe dabei eine hybride Lohnlösung gefunden, das Lehramt. Abhängig in Bezug auf die Bezahlung, selbstständig in Bezug auf die Tätigkeit. Kaum ein lohnabhängiger Beruf lässt einem soviel Freiraum wie das Lehramt.
Was ich mit meinen Ausführungen sagen möchte, es gibt immer eine Nische für Arbeiterkinder in dieser Gesellschat, um nicht als Arbeiter zu enden, um sich aus dem Lohnknechttum der Herkunft zu befreien. Aber es setzt ein politisch offenes, sozialistisch geprägtes Elternhaus voraus. Es setzt voraus, mit wachen Augen durch die Welt zu gehen und die bestehende Welt nicht als eine durch Naturgesetze entstandene zu betrachten. Und es setzt einen unbändigen Willen voraus, sich frei zu machen von dem Lohn, den andere bereit sind, zu uns herabtröpfeln zu lassen, aus dem Himmel, dort wo das Manna des Kapitalismus wie Milch und Honig fließt. Und was es dafür noch braucht, ist Eigensinn, eine große Portion Selbstbewusstsein (manche würden sagen Größenwahn) und eine körperliche und psychische Konstitution, die es möglich macht, die Prügel und Demütigungen zu ertragen, die die anderen für einen bereit halten, wenn man den Gehorsam zur Unterwerfung verweigert und den vorhergesehnen angestammten Platz als Lohnarbeiter im gottgegebenen Gefüge zurückweist.
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eingestellt: 5.2.2023 | zuletzt aktualisiert: 5.2.2023
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