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Aus dem Homeoffice eines Unbrauchbaren XV
Über die Dummheit


Das Phänomen der Dummheit beschäftigt mich schon länger. Dummheit ist laut Wörterbuch der Gebrüder Grimm bereits im althochdeutschen belegt, und wird dort in der Form von tumbheit geschrieben. Es handelt sich also um ein altes Wort, das bereits lange in Gebrauch ist. Wobei die Eigenschaft des Dummseins, also der Gebrauch des Adjektivs dumm, wesentlich genauer beschrieben wird als der Gebrauch des Nomens als die Dummheit selbst. Dumm zu sein, scheint also schwerer zu wiegen als der Zustand der Dummheit selbst.

Inhaltlich wird laut grimmschen Wörterbuch der Zustand der Dummheit mit folgenden Begriffen umschrieben: Unverständigkeit, Albernheit, Einfalt, Unbesonnenheit, Unwissenheit. Kant nennt im Zusammenhang mit der Dummheit vor allem die fehlende Urteilskraft. Dummheit scheint also die Abwesenheit von Wissen zu sein. Und insoferne könnte ja der portugiesische Schriftsteller José Saramago recht gehabt haben, der einmal gesagt haben soll: Ein Optimist könne nur jemand sein, der entweder dumm, empathielos oder reich sei. Dummheit wäre demnach die Abwesenheit von Information. Also in dem Sinne eine Defizit, das sich aus zahlreichen Quellen speisen kann. Es können familiäre Gründe vorliegen, zu wenig Förderung in der Kindheit. Bildungspolitische, dann hätte das Schulsystem versagt. Später kommt vielleicht ein grundsätzliches Desinteresse für die Vorgänge in der Welt hinzu. Oder man ist einfach nur zu faul, um selbst zu denken. Was Dummheit aber ganz sicher nicht ist, sie ist keine Krankheit und daher auch nicht medikamentös behandelbar und gegen ärztliche Behandlungsmethoden immun.

Einer, der meines Erachtens das Phänomen der Dummheit besonders gut auf den Punkt gebracht hat, war Ödön von Horvath, der als Motto seinen Geschichten aus dem Wienerwald folgendes Zitat vorangestellt hatte: Nichts gibt so das Gefühl von Unendlichkeit als wie die Dummheit. Das Problem mit der Dummheit ist demnach auch, dass sie omnipräsent ist, sich in allen gesellschaftlichen Schichten zeigt, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Ein weiteres Problem scheint mir zu sein, dass die Dummen oft denken, dass diejenigen, die sich um Wissen bemühen, die Dummen seien, weil es die einzige Möglichkeit der Dummen ist, ihre Dummheit zu legitimieren, denn gäbe es keine wissbegierigen Menschen, würde die Dummheit der Dummen nicht auffallen.

Nun fiel mir per Weihnachtsgeschenk ein Buch über die Dummheit zu, das nicht näher erwähnt werden müsste, wenn darin nicht ein Hinweis enthalten gewesen wäre, der mir ein wenig mehr Licht in das Problem mit der Dumheit gebracht hätte. Darin ist der Name eines gelehrten Mannes, eines italienischer Wirtschaftswissenschaftlers mit dem Namen Carlo M. Cipolla enthalten, der 1988 fünf Grundsätze zur Dummheit aufgestellt hat, die ich nun kurz darstellen und sie durch einige eigene Überlegungen verdeutlichen möchte.


Grundthese eins: Die Zahl der Dummen wird meist unterschätzt.
Das könnte ja möglicherweise daran liegen, dass wer denkt, es gäbe viele dumme Menschen, außer Acht lässt, dass er selbst aus der Perspektive der Dummen als dummer Mensch gesehen werden kann. Würden wir uns alle, die wir uns für wissend und intelligent halten, zu den Dummen hinzuzählen, dann wäre die Diskrepanz zwischen den festgestellten und anzunehmend Dummen wesentlich geringer. Und wir würden uns wahrscheinlich im Alltag nicht sooft wundern, wenn uns dumme Menschen begegnen, sondern einfach festhalten: Oh, noch so einer! Und eines sei noch hinzugefügt: Manchmal hilft auch der Blick in den eigenen Spiegel.

Grundthese zwei: Dumme kommen in jeder gesellschaftlichen Schicht vor.
Diese These kann man nur bejahen. Dummheit hat ja wenig mit dem sozialen Ort, an dem ein Mensch sich befindet, zu tun, auch nicht mit dem Milieu, in dem er sich bewegt oder aus dem er abstammt. Dummheit ist ja nicht ansteckend. Es ist kein Virus, der sich ungehindert in der Bevölkerung ausbreiten kann, den man sich einfangen kann wie einen Schnupfen. Um dumm zu sein, muss man einfach nur gedankenlos sein. Selbst Menschen, die wir als hochintelligent einstufen würden, denken nicht in jeder Situation über ihre Handlungen nach und begehen daher schwerwiegende Dummheiten. Dummheit wäre demnach nur durch permanente Selbstreflexion auszuschließen. Doch, wo würde das hinführen. Wir würden all unserer Leidenschaft, unserer Glücksfähigkeit, unserer Ausgelassenheit beraubt, wenn wir versuchen würden, Dummheit bis in die letzte Konsequenz zu vermeiden. Dumm zu sein, kann manchmal, selbst bei intelligenten Menschen, ein Zeichen von absoluter psychischer Gesundheit sein, auch wenn sie in ihren Konsequenzen natürlich unerträgliche Ausmaße an Problem erzeugen kann und in den meisten Fällen auch erzeugt, wenn man seiner Dummheit freien Lauf lässt. Insfoerne ist ein gerütteltes Maß an Dummheit, die ein Mensch in sich trägt und auslebt, für ein glückliches und gelungenes Leben unerlässlich.

Grundthese drei: Dumm ist wer anderen schadet, ohne selbst einen Nutzen davon zu haben.
Nach dieser dritten These wäre ein Verbrecher eben kein dummer Mensch, denn im Falle eines Verbrechens hat der Täter durchaus einen Nutzen, entweder erwirtschaftet er sich dadurch Geld, Befriedigung oder Macht. Er handelt sozusagen unmoralisch. Der dumme Mensch ist zur Unmoral nicht fähig, weil seine Verbrechen dienen auch der Selbstzerstörung oder mindestens der Selbstsabotage. Deshalb sollte jeder, der eine Tat begehen möchte, die er schon im Vorhinein als unvernünftig einschätzt, oder von der er zumindest ahnt, dass sie von anderen nicht als besonders vernünftig eingestuft werden würde, überlegen, ob sie moralisch verwerflich sei, also anderen Schaden zufügt oder einfach nur dumm, also nicht nur anderen, sondern einfach nur einem selbst Schaden würde. Im ersteren Fall rate ich zur Umsetzung, weil dieser das eigene Leben ausfüllt mit Leidenschaft, Glück und Ausgelassenheit, vom zweiteren Fall rate ich ab, weil dieser zu Depressionen, Einsamkeit und Unglück führen kann und meist auch führen wird.

Grundthese vier: Das Gefährdungspotential dummer Menschen wird immer unterschätzt.
Auch dieser These ist nicht zu widersprechen, denn so gefährlich ein Mensch sein kann, der überlegt handelt, so versucht er doch das Risiko zumindest für sich selbst zu minimieren. Ein intelligenter Mensch würde sich nicht in ein Abenteuer stürtzen, ohne sich über die Konsequenzen seiner Tat im Klaren zu sein. Wenn die Konsequenz seiner Handlung die Vernichtung eines ganzen Volkes sein sollte, so erscheint das aus der Perspektive derer, die dem entgegenstehen grausam, verrückt und bestialisch, aber vom Standpunkt des Täters aus könnte das durchaus plausibel erscheinen, er beginge also eine politische Tat, wenn auch eine moralisch zweifelhafte. Jedoch, bringt einer aus Lust und Laune, ohne auch nur einen Gedanken auf den Nutzen zu verschwenden, einige tausend Menschen um, sozusagen im Vorübergehen, beiläufig, aus Langeweile, so ist das durchaus eine dumme Tat, denn dies hätte selbst aus der Perspektive dessen, der die Tat setzt keinen erkennbaren Nutzen außer vielleicht einer emotionalen und psychischen Befriedigung. Aber dann wäre dieser Täter ja wohl nicht dumm, sondern psychopathisch. Das Problem des Gefährdungspotentials dummer Menschen besteht darin, dass sie unberechenbar sind. Selbst die Handlungsweise eines Psychopathen oder Soziopathen kann man vorausahnen, wenn man weiß, wie er tickt. Dumme Menschen sind dagegen unberechenbar und daher von Grund auf asozial.

Grundthese fünf: Ein dummer Mensch ist der gefährlichste Menschentyp überhaupt.
Nun ja, diese fünfte These, kann man vor allem in Horvaths Geschichten in besonderer Weise feststellen. Oskar, der dumme Mensch an sich, der tief in seinem Glauben verwurzelt ist, eine unreflektierte Persönlichkeit hat und heute würde man sagen, mit einer toxischen Männlichkeit ausgestattet ist, der die Frau als Eigentum betrachtet und sich selbst im Besitz moralischer Integrität wähnt, ist für andere eine gefährliche und gewaltätige Bestie, die am Ende das gejagte Wild erlegt und in seine Höhle zerrt. Horvaths Stück ist gespickt mit bestialisch dummen Menschen und keiner kann dem Kreislauf aus Ignoranz, Gewalt und Dummheit entkommen, außer er würde sich selbst reflektieren, und so Sein in Bewusstsein verwandeln. Doch dafür müsste man ein Stück Glücksmöglichkeit und ein wenig von diesem wunderbaren Gefühl, das ein wolkiger Opimismus in uns auslöst, aufgeben.


Eines sei mir am Ende noch gestattet festzuhalten. Natürlich findet man in allen gesellschaftlichen Schichten dumme Menschen und natürlich mehr als wir gewillt sind, wahrhaben zu wollen, aber manche von diesen können mehr Gefährdungspotential entwickeln als andere. Dumme Menschen mit Macht und Einfluss, sind als Individuen gefährlicher, als Einzeltäter, während die Kleinbürger vor allem durch massenhaftes und gleichzeitiges Auftreten ihr eigentliches Gefährdungspotential entwickeln und sich gerade gegenüber denjenigen, die im Besitz von Informationen sind, rasch in reißende Bestien verwandeln können, die alles, was nicht ihren Ansprüchen von Glückseligkeit, Lebendigkeit und Ausgelassenheit entspricht, vom Boden heimatlicher Erde tilgen wollen. Insoferne fürchte ich mich mehr vor einem dummen und rasenden Mob als vor einem egomanischen Einzeltäter.

In diesem Sinne sollten wir vor zwei Dingen immer auf der Hut sein: Unterschätzen wir nie die Zahl der Dummen und achten wir immer darauf, nicht eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass wir selbst vergessen haben, uns in dieser Zahl nicht mitgedacht zu haben.

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eingestellt: 28.12.2022 | zuletzt aktualisiert: 28.12.2022
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