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Mittwochs-Reflexion | Über Handlungsoptionen
2022|35


Wie schon in der letzten Mittwochs-Reflexion angekündigt, möchte ich mich hier mit den möglichen Handlungsvarianten, welche Lehrer*innen zur Verfügung stehen, um auf die Vorgänge in einer Schule, die ihre Interessen zu wenig berücksichtigt, zu reagieren. Derer gibt es meiner Meinung nach drei: Anpassung, Flucht und Widerstand.

Zur Anpassungsstrategie: Für den Einzelnen kann dies bedeuten, den Kopf in den Sand zu stecken, Augen zu und durch; sich nicht in die Belange anderer einzumischen und sich den vorgegeben Spielregeln zu unterwerfen; Gesetze zu akzeptieren, wie sie sind; Dienst nach Vorschrift zu machen, sich aus allen Konflikten herauszuhalten. Der Nachteil dieser Strategie ist folgender: Sollte das System den Einzelnen in seinen persönlichen Interessen einmal treffen, dann steht er unter Umständen ganz alleine an der Front. Die Anpassungsstrategie ist für den Einzelnen nur dann tauglich, solange das System keine Notiz von ihm nimmt und ihn nicht zur Zielscheibe erklärt.
Für das Kollegium als Gesamtheit bedeutet Anpassung, dass die Personalvertretungen Handlungen setzen, die der Führungsebene nicht schaden, sondern sie in ihren Ansprüchen stützen und die Formen der Kritik innerhalb der bestehenden Grenzen reformistischer Handlungen vollziehen. Was bedeutet, dass das Ziel der Aktion die Reform ist, ein Zugeständnis zu erringen, das das Kollektiv einigermaßen befriedet und die Institution arbeitsfähig hält. Widerspruch soll nach Möglichkeit nicht aufbrechen, sondern bereits im Vorfeld eines Konfliktes unter den Teppich gekehrt werden. Im Falle der Anpassungsstrategie wirken die Interessengegensätze im Verborgenen weiter und können im Zweifel zum Auseinanderbrechen des Kollegiums führen.

Zur Fluchtstrategie: Auch hier zuerst die möglichen Handlungsoptionen des Einzelnen. Wird der Druck auf eine einzelne Person zu groß, hat er oder sie die Möglichkeit, sich aus dieser zu entfernen. Man kann kündigen, man kann in Karenz gehen, man kann sich Luft in einem Sabbatical verschaffen oder man kann auch in die innere Emigration abtauchen, sich also vollständig aus der Kommunikation mit anderen Mitgliedern des Kollegiums zurückziehen, im Grunde das Lehrer*innenzimmer verlassen und sich anderswo in der Schule ein Plätzchen zum Überleben suchen. Flucht ist also in vielfältiger Form möglich. Im Grunde geht es darum, unsichtbar zu werden.
In kollektiver Hinsicht kann Flucht jedoch etwas vollständig anderes bedeuten. Flucht kann hier auch dazu dienen, die Widersprüche zwischen Führung und Belegschaft vollständig zu negieren, zu einer Art institutioneller Blindheit beizutragen. Das Kollegium passt sich nicht nur an, sondern nimmt die Ansprüche der Direktion nicht nur zur Kenntnis, sondern flüchtet sich in ein over socialising: Viele Feste, viele Sitzungen, viele Arbeitsgruppen, eine Menge an Aktivität, um sich nur ja nicht mit den eigentlichen machtpolitischen Problemen zu beschäftigen. Beliebte Sätze sind in diesem Zusammenhang: Wir sind doch alle Kolleg*innen, mit uns kann man über alles offen reden, wir sind doch alle problemlösungsorientiert.
Das wäre die eine Möglichkeit, die andere wäre, das Kollektiv nimmt seine Interessensvertretung nicht wahr, wählt keine Personalvertretung, schaltet alle kollektiven Handlungsspielräume gegenüber der Führungseben aus. Eine Art Selbstausschaltung, eine Art Selbstaufgabe, eine Art Flucht vor gesellschaftlicher Verantwortung. In jedem Fall bedeutet kollektives Fluchtverhalten, dass die Führungsebene einfach durchregieren kann, ohne Widerspruch erwarten zu müssen und ohne Rechenschaft ablegen zu müssen.

Zur Widerstandsstrategie: Widerstand kann unterschiedliche Formen annehmen, reicht von Reformbestrebungen, über offene Rebellion bis zur Revolution. Ich will mich hier nur auf zwei mögliche Formen konzentrieren. Passiver und aktiver Widerstand, individuell und kollektiv.
Der individuelle passive Widerstand: Mitarbeiter*innen können sich eine Krankheit zulegen, möglichst chronisch, um sich unterschiedlichen Ansprüchen durch das System zu entziehen. Das ist wohl die stärkste Waffe des passiven Widerstandes für den Einzelnen. Daneben gibt es noch die Möglichkeit, organisatorische Vorgaben nicht zu erfüllen und damit dem System Nadelstiche zu versetzen. Jedoch sind die Möglichkeiten Formen des individuellen passiven Widerstands in Schulen auszuüben letztlich als gering zu bewerten.
Der individuelle aktive Widerstand: Er bedeutet offene Rebellion, das heißt, gezielte Attacken gegen die Führungseben. Diese sind ohne Rückhalt im Kollegium jedoch problematisch, weil sie den Einzelnen gefährden und meist vom Kollektiv, das sich dadurch in seiner Anpassungs- oder Fluchtstrategie behindert fühlt, abgelehnt werden und nebenbei gesagt, es ist eine anstrengende und meist zum Scheitern verurteilte Strategie.
Der kollektive Widerstand: Dieser scheint mir – geschichtlich wie gegenwärtig – die erfolgreichste Form mit einer Führung umzugehen, welche die Interessen von Mitarbeiter*innen negiert und in Entscheidungsprozessen nicht berücksichtigt. In der Schule gibt es zwei Möglichkeiten des kollektiven Widerstandes. Man kann ihn über die Personalvertretung organisieren, die dafür jedoch aktiv und kommunikativ auftreten sollte. Die andere Möglichkeit ist, die Kolleg*innenschaft organisiert sich in einer aktiven Gruppe und zwingt entweder direkt die Direktion zur Kooperation und zieht sie zur Rechenschaft oder zwingt die Personalvertretung aktiv zu werden und kontrolliert deren Vorgangsweise und die erreichten Ergebnisse.

Bei der Widerstandsstrategie ist aber eines im individuellen und kollektiven Verhalten unerlässlich. Man muss bereit sein, zu kämpfen und darf sich nicht auf Knien und in gebückter Haltung der Führungsebene nähern. Wichtig dabei ist, eine klare Zielvorgabe und konkrete Forderungen zu haben. Nur dann wird auch im Widerstand sichtbar, wofür er steht und ob er Unterstützung durch den Lehrkörper hat.
Letztlich bleibe ich bei der Losung:

Mit dem, was sie uns zumuten, dürfen sie nicht durchkommen. Alles, was diese Losung verwirklicht, hat meine solidarische Unterstützung.

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eingestellt am: 28.9.2022 | zuletzt aktualisiert: 28.9.2022
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