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Mittwochs-Reflexion | Über den Lehrer*innenmangel
2022|34


Auf einer meiner zahlreichen Fahrten durch das salzkämmerische Land kam mir zu Ohren, dass in unserem wunderschönen Land ein Lehrer*innenmangel herrschen solle. Als erstes schoss es mir durch den Kopf: Ach was schwatzt ihr von Mangel, das kennen wir doch schon. Hatten wir schon öfter. Und immer waren alle überrascht, als käme er über Nacht und als gäbe es kein statistisches Zentralamt.

Also stellte ich mir die Frage: Warum tritt ein Personalmangel immer zur Unzeit und überraschend auf? Reichen pensionsberechtigte Lehrer*innen unvorhergesehen ihre Anträge ein? Warum hat man nicht früher gegengesteuert? Würde eine Steuerung überhaupt helfen? Oder liegen dem Lehrer*innenmangel mehr als nur bürokratische Probleme zu Grunde?

Vielleicht ist der Lehrer*innenmangel ja darin begründet, dass unser Schulsystem manchmal wirkt, als wären wir in den späten siebziger Jahren stecken geblieben, in der kommunikativen Wende, die in der Ära Kreisky eingeleitet wurde – und das sage ich nicht nur, weil generationstechnisch einer Kohorte angehöre, die in den siebziger Jahren zur Schule ging – sondern weil es beachtenswert ist, dass heutige Schüler*innen in meinen Klassen ähnlich systemkritische Fragen zu unserem Schulsystem stellen, wie meine Generation.

Was ich nicht verschweigen will, ist, dass es natürlich ein paar kosmetische Veränderungen gegeben hat: Die Hardcore-Nazi-Lehrer*innen sind fast überall aus den Schulen verschwunden. Und natürlich werden Schüler*innen nicht mehr geschlagen. Und ja, sie dürfen in Bereichen mitreden, wo es der Bürokratie nicht weh tut und es ihr nichts kostet.

Aber ist das schon ein Fortschritt? Was wir bei allem Glauben an die Veränderungsbereitschaft unseres Schulsystems nie vergessen sollten: Der Grundstein für eine erfolgreiche Lehrer*innenkarriere wird einerseits in Lehrer*innenfamilien gelegt und andererseits in Schulen, wo Lehrer*innen als Role-Models fungieren und wesentlich zur Berufswahl künftiger Lehrer*innen beitragen.

War man zu meinen Studienzeiten ein wenig träge, lustlos und wusste nicht so genau, was man studieren oder überhaupt mit seinem Leben anfangen sollte, hat man halt Lehramt studiert oder ist Psycholog*in geworden. Und heute? Warum sollte man heute Lehrer*in werden? Aus Berufung? Ja, das wäre eine Möglichkeit und das geschieht häufiger, als man denkt, aber nicht oft genug, sonst hätten wir ja keinen Lehrer*innenmangel.

Und könnte es andere Gründe für diesen Mangel geben? Natürlich. Ein gutes Gehalt könnte ein Anreiz sein, sagen die Gewerkschaften. (Nun ja, was ein angemessenes Gehalt ist, ist auch relativ.) Schließlich verdienen Manager*innen in der Privatwirtschaft Millionen mit den Arbeitskräften, die an unseren Schulen ausgebildet werden und die Lehrer*innen müssen sich mit einem Durchschnittsgehalt zufrieden geben. Vielleicht sagt sich der eine oder die andere künftige Lehrer*in: Warum soll ich mir das antun, bei dem Gehalt. Ich will auch lieber herrschen statt lehren. Also wäre die naheliegende Lösung für den Lehrer*innenmangel vielleicht doch ein höheres Gehalt.

Die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme ist durchaus überschaubar, denke ich, weil Geld alleine noch nie Probleme gelöst hat, sondern eher dazu neigt, sie zu vertiefen. Wobei ich nicht behaupten möchte, dass mehr Bezahlung nicht von Vorteil sein könnte und die Motivation heben würde, aber vielleicht sind es eher die Arbeitsbedingungen an den Schulen, die Menschen davon abhalten, einen Beruf zu ergreifen, der auch viele Vorteile mit sich bringt.

Vielleicht ist es das schlechte gesellschaftliche Image der Lehrer*innen, das dazu führt, dass immer mehr junge Menschen denken: Lehrer*in werden, nein, bin ich verrückt, da werde ich ohnehin immer nur misstrauisch beäugt und in der Privatwirtschaft verdiene ich sowieso viel mehr und da wird meine Leistungsbereitschaft auch honoriert. In der Schule werde ich ohnehin nur mit immer mehr organisatorischen Tätigkeiten zugepflastert, sitze ich in unnützen Lehrer*innenkonferenzen Stunden meiner Lebenszeit ab, statt Sinnvolles zu tun und führe Listen für eine bürokratische Staatsmaschinerie und bin mehr mit Überwachen und Strafen und Kontrolle beschäftigt als mit einem für die Schüler*innen gedeihlichen und nützlichen Unterricht.

Vielleicht liegt es aber auch an der unsicheren Situation für Junglehrer*innen: Fünf Jahre Kettenverträge (die übrigens nicht nur in der Schweizer Gesetzgebung, sondern auch in der österreichischen aus guten Gründen verboten sind) bis man endlich Gewissheit über eine Fixanstellung hat. Und wenn man nicht brav Ja und Amen sagt, zu dem, was einem zugemutet wird, kann es vielleicht sein, dass man sich im nächsten Jahr an einer Schule wiederfindet, zu der man vielleicht eine Stunde anreisen muss, oder einen Stundenplan hat, der löchriger ist als ein Schweizer Käse oder sowieso immer die größten Klassenverbände abbekommt. Versetzungsantrag kann man aber erst stellen, wenn man einer Stammschule zugewiesen wurde und auch dann kann es dauern, bis man von einer Schule zur anderen wechseln kann.

Vielleicht ist aber alles auch einfach und viel banaler. Die geburtenschwachen Jahrgänge kommen nun ins studierfähige Alter. Gleichzeitig gehen die Boomer in den nächsten Jahren massenweise in Pension, daher klafft schon aus biologischen Gründen eine Lücke. Und vielleicht sollten wir mal einen Blick in die Schulgesetzgebung wagen. Wäre das Strafgesetzbuch geschrieben wie unser Schulunterrichtsgesetz, wäre unsere soziale Gemeinschaft längst zerbrochen. Schwammiger als dort kann man Arbeitsbedingungen gar nicht formulieren.

Eines ist jenseits des bisher Gesagten aber gewiss: Wollen wir junge Leute dazu bringen, Lehrer*innen zu werden, und wollen wir diese später auch an den Schulen halten, dann hilft es nicht gebetsmühlenartig darauf hinzuweisen, wie erfüllend und schön dieser Beruf ist, sondern was wir konkret brauchen sind: Andere Arbeitsbedingungen, flachere Hierarchien, mehr Demokratie und mehr verbindlichen Einfluss der Lehrer*innen im Bereich der Schulorganisation; kleinere Klassenverbände; mehr Werteinheiten, auch bei geringerer Klassenschüler*innenzahlen; pädagogische Entscheidungen müssen Vorrang haben vor schulbürokratischen Notwendigkeiten; Schule sollte keine Spielwiese für bürokratische Feldversuche sein, sondern immer von pädagogischen, didaktischen und fachspezifischen Zielen geleitet sein.

Vielleicht wäre es auch an der Zeit, endlich transparente, nachvollziehbare Strukturen an Schulen zu schaffen, sodass Junglehrer*innen innerhalb kürzester Zeit Aufnahme im System finden können, ohne sich Anpassungsstrategien zurecht legen zu müssen, damit sie psychisch und physisch einigermaßen unversehrt über die Jahrzehnte hinweg in ihren Arbeitsprozessen mit Schüler*innen, Eltern und Direktionen überleben können.

Ein Wort sei mir zum Schluss noch gestattet: Vielleicht braucht die Schule auch und vor allem eine Portion selbstkritische Distanz zu ihren eigenen Handlungsgfeldern, mehr Gelassenheit und Vertrauen in gelingende Bildungsprozesse und künftige Schüler*innengenerationen und weniger Untergang-des-Abendlandes-Stimmung und eine ministerielle Führung, die weniger auf den Erhalt des Status quo schielt und Veränderungen nicht nur dort durchführt, wo am wenigsten Widerstand zu erwarten ist, sondern einen mutigen Schritt setzt, an dem ein Otto Glöckel vielleicht ebenso viel Freude hätte, wie ein Fred Sinowatz oder ein Erhard Busek.

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eingestellt am: 5.10.2022 | zuletzt aktualisiert: 5.10.2022
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