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Mittwochs-Reflexion
2022|06


Eine Sache lässt mich seit Tagen nicht los: Was geschieht eigentlich, wenn eine Klasse aufgelöst werden muss, auf Grund von eklatantem Schüler*innenschwund. Nun ja, so etwas kommt manchmal vor, lässt sich gegebenenfalls nicht vermeiden, aber an der Art und Weise, wie dies geschieht, lässt sich eine Schulgemeinschaft in besonderem Maße messen, denn gerade weil Abschiede, Teamauflösungen, Kündigungen in der Arbeitswelt und im Leben des öfteren vorkommen, ist es besonders wichtig in der Schule Maßstäbe für den Umgang damit zu setzen, die für Schüler*innen Vorbildwirkung für spätere Situationen im Leben haben könnten.

Es gibt zwei Möglichkeiten darauf zu reagieren, mit einer bürokratischen Antwort oder einer sozialen. Eine bürokratische Auflösung einer Klasse, die sich an bloßen institutionellen Notwendigkeiten orientiert, kann einer Klasse und den betroffenen Schüler*innen einen Schlag versetzen, der ihre Schullaufbahn nachhaltig negativ beeinflusst.

Bei einer Klassenauflösung sollte vor allem dem Kollegium eine starke Stimme zukommen, denn niemand weiß besser über eine Klassengemeinschaft zu berichten, wie die Kolleg*innen, die darin unterrichten. Was auf keinen Fall geschehen sollte: Die Direktion berät sich zwar mit den Kolleg*innen, trifft dann aber eine einsame Entscheidung im Direktionszimmer. Gerade in der Frage einer Klassenzusammenlegung sollten lediglich pädagogisch, psychologische und soziale Überlegungen von Bedeutung sein.

Hinhaltetaktiken und Intransparenz sind gerade in diesen Fragen völlig fehl am Platze, auch wenn an manchen Schulen eine derartige Vorgangsweise an der Tagesordnung zu sein scheint, wie mir zu Ohren gekommen ist, denn für die Schüler*innen ist die Auflösung einer Klasse und die Verteilung auf andere Gemeinschaften eine durchaus traumatische Erfahrung (auch wenn Erwachsene sich das manchmal nur schwer vorstellen können), bei der deshalb umso behutsamer vorgegangen werden sollte. Dies gilt übrigens auch für jene Klassen, die dadurch neue Schüler*innen in ihre Klassengemeinschaften integrieren müssen, denn werden diese nicht ausreichend auf die neuen Schüler*innen vorbereitet, könnte dies zu Abstoßungs- und Ausgrenzungsprozessen führen.

Je später eine Entscheidung in einem Schuljahr über die Zusammenlagung einer Klasse fehlt und je intransparenter sie getroffen wird, desto vollendeter erscheinen den Schüler*innen die Tatsachen, vor die sie am Beginn eines neuen Schuljahres gestellt werden und damit starten diese möglicherweise mit einem Rucksack an Ärger und Unbehagen, der sie auch in ihren Lernerfolgen beeinflussen kann.

Schüler*innen haben meines Erachtens nicht nur das Recht in die sie betreffenden Entscheidungen der Schule einbezogen zu werden, sondern auch ein berechtiges Bedrüfnis sich auf unvermeidliche Situationen einstellen und sich darauf vorbereiten zu können. Doch wie es um die Rechte der Schüler*innen in einer derartigen Situation steht, wenn es um eine Klassenauflösung geht, wissen wir alle, die wir in Schulprozessen stecken, nur allzugut. Werden sie in die Entscheidungsfindung miteinbezogen? Davon habe ich noch selten gehört. Warum eigentlich nicht? Trauen wir ihnen kein erwachsenes Verhalten zu? Wahrscheinlich.

Klar ist, wenn man Schüler*innen wie kleine Kinder behandelt, werden sie sich auch so verhalten. Erklärt man aber die Bedingungen, die Entscheidungen notwendig machen, dann werden sie diese (sofern sie auch ihr zustandekommen mitgestalten durften) vielleicht auch mittragen.

Entscheidungen, die über die Köpfe von Betroffenen hinweg getroffen werden, erzeugen immer Widerstand. Nehmen wir das in Kauf? Ich fürchte, viel zu oft. Lösen ließe sich eine derartige Situation, indem eine Direktionen das Kollegium und die Schüler*innen in die Entscheidung auf Augenhöhe miteinbeziehen würde. Ist das schwierig? Keine Frage. Würde es sich lohnen? Allemal! Es würde, selbst wenn nicht alle mit dem Érgebnis zufrieden wären, das Vertrauen aller Beteiligten in ihre Institution stärken.

Was wäre für einen derartigen Prozess notwendig? Aufgeschlossene, offene Diskussionen und vor allem Zeit, denn je später ein derartiger Diskussionsprozess in Gang gesetzt wird, desto weniger Zeit besteht und dann muss man wahrscheinlich am Ende feststellen: Es war nicht genug Zeit, da musste einer ja mal ein Machtwort sprechen.

Übergangsprozesse bedürfen also eines langen Vorlaufes und eines offenen, wohlwollend geführten Diskurses, dies kann man mit Fug und Recht behaupten, denn was im Privatleben gilt (keiner baut ein Haus, ohne sich ausreichend und langfristig darauf vorzubereiten), gilt auch in beruflichen Organisationsprozessen.
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eingestellt am: 1.6.2022 | zuletzt aktualisiert:1.6.2022
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