literaturgeschichten | chronos | kommentar | publikationen | index | downloads | impressum
[Mittwochs-Reflexion 2022|06] blättern [Mittwochs-Reflexion 2022|04]

Mittwochs-Reflexion | Über direktionale Regierungsformen
2022|05


Wieder einmal bin ich lange Wege gefahren, die Woche war gut und in den Klassen herrschte aufgeräumte Sommerstimmung. In einer derartig entspannten Situation ist es nur verständlich, dass die Gedanken sich entlang der salzkämmerischen Seen wie von selbst formen und anschließend zu Papier gebracht werden können.

In der heutigen Mittwochs-Reflexion möchte ich mich mit dem Satz einer Kollegin beschäftigen, der mir zwar gut gemeint schien, aber bei mir durchaus einen Nachdenkprozess in Gang gesetzt hat. Dieser Satz wirft Fragen auf, die unmittelbar an meine erste Mittwochs-Reflexion anschließen, eine davon wäre: Wie reagieren Lehrkräfte auf einen Wechsel im Führungsstil einer Schule, wenn ein*e Kolleg*in aus ihrer Mitte in die Chef*innenetage wechselt. Doch bevor ich diesen Umstand näher beleuchte, will ich noch den Satz der Kollegin, der seit Tagen in mir nachhallt, zum Besten geben, der sinngemäß lautet: Irgendwann muss man es auch einmal gut sein lassen und sich an die veränderten Bedingungen anpassen, mit den neuen Verhältnissen arrangieren.

Damals fiel mir keine adäquate und angemessene Antwort ein. Heute, zahlreiche Autofahrten später, will ich versuchen, mit einem Zitat von Michel Foucault darauf antworten, der einmal gesagt hat, man muss verhindern dermaßen regiert zu werden. Und in diesem dermaßen steckt alles, was ich an Herrschaft ablehne. Es sind die Unzumutbarkeiten, die Menschen zugemutet werden. Es sind die Demütigungen, die Menschen gezwungen sind, hinzunehmen. Es ist die Dummheit der Kleinbürger*innen, die die Welt ins Unglück stürzt, wie es schon Horvath formulierte, als er festhielt: Nichts gibt so das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit. All das, ist es, was dieses dermaßen beinhaltet.

Natürlich gibt es einen Punkt, an dem auch ich sagen würde, es ist Zeit aufzugeben, sich anzupassen. Doch dieser Zeitpunkt ist erst dann gekommen, wenn man nachgewiesen hat, dass jede Form des Widerstands aussichtslos scheint.

Ich denke, es ist nicht leicht den Wechsel von einem permissiv-toleranten (nachgiebig, wenig kontrollierend) Führungsstil – oder wie es Kurt Lewin bezeichnete kooperativen Führungsstil – zu einem eher, wie es Max Weber bezeichnet, bürokratisch-autokratischen Führungsstil, psychologisch zu ertragen, sozial zu integrieren und organisatorisch zu verwalten, ohne Widersprüche auf individueller und kollektiver Ebene zu erzeugen. Die Frage jedoch ist, wie man mit diesen auftauchenden Widersprüchen umgeht.

Da in vielen Schulen eine Mischung aus bürokratischem und autokratischem Führungsstil herrscht, stellt sich die Frage, wie sich Kolleg*innen darin zurecht finden sollen, können und eines Tages auch müssen. Nun, auf der individuellen Ebene gibt es dazu mehrere Möglichkeiten: Man kann sich anpassen, mitmachen und unterwerfen. Man kann sich zu einem Mitglied des engeren Kreises der Führung machen. Man kann in die innere Emigration gehen. Man kann sich in eine andere Schule versetzen lassen (Was Jahre dauern kann. Bis dahin ist man längst in der inneren Emigration oder in einer Depression gelandet.) oder als letzten Ausweg, als ultima ratio, kündigen.

Viel wichtiger aber scheint mir die Frage: Wie reagiert das Kollegium als Kollektiv auf die veränderten Herrschaftsverhältnisse an einer derartigen Schule. Betrachtet das Kollektiv die/den ehemalige/n Kollegin/Kolegen als kooperative*n Chef*in, die/der sie in seine/ihre Entscheidungen (die sie individuell oder kollektiv betreffen) miteinbezieht und ihnen so das Gefühl gibt, weiterhin von einem/einer Kolleg*in regiert zu werden oder als bürokratisch-autokratische*n Chef*in, der/die ihnen das Gefühl gibt, Mitarbeiter*innen eines Unternehmens zu sein. Die Beantwortung dieser Frage wird wohl maßgeblich davon abhängen, wie sich die aufgestiegene Lehrkraft in der Rolle der Leitungsfunktion verhält.

Entscheidet sich eine neue Direktion, eine Schule wie ein Unternehmen zu führen, in dem Kennzahlen einen größeren Wert besitzen als didaktische und pädagogische Prozesse, wird es zu zahlreichen Desintegrationsprozessen führen und langfristig ein Kollegium in verschiedene Lager aufgespalten.

Um meine These zu stützen, möchte ich beispielhaft zwei Aussagen zur Kenntnis bringen, die für mich deutlich machen, mit welchem Führungsstil man es in einer Schule zu tun haben könnte. In der ersten Aussage wird von einer Legislaturperiode gesprochen, in der zweiten wird immer wieder der Begriff meine Mitarbeiter verwendet.

Im Wort Legislaturperiode, das so manch neue Direktion gewillt ist, für die Beschreibung ihrer zeitlichen Regentschaft an Schulen zu nutzen, verbirgt sich bereits die Vorstellung einer Regierung, die sich als gesetzgebendes Organ einer Organisation betrachtet, die das Volk zu erfüllen habe. Dafür sei sie ja bestellt worden. Der Unterschied zwischen der Leitungsebene einer Schule und einer Regierung ist aber, dass sie nicht nach einer Wahl ins Amt gekommen ist, sondern durch ein bürokratisches Auswahlverfahren, durch Menschen, die ebenso durch ein bürokratisches Auswahlverfahren ihr Amt erlangt haben.

In der Aussage meine Mitarbeiter wird aber ein viel zentraleres Problem einer Schulorganisation thematisiert, denn eine solche Sprachregelung macht aus der Direktion, die ja nur eine Verwaltungsfunktion innerhalb einer Bürokratie darstellt, eine Chef*innenetage, aus einem/einer Vorgesetzten eine*n Unternehmer*in. Stimmen Lehrer*innen einem solchen Arbeitsverhältnis zu, sind Lehrkräfte schon aus bürokratischen Gründen keine Kolleg*innen der Direktion mehr, sondern Arbeitnehmer*innen eines/einer austauschbaren Chefs/Chefin, also einer bürokratischen Verwaltungseinheit. Und wenn dem so ist, sollten Lehrer*innen ihr Verhältnis zur Direktion auch als ein Arbeitnehmer*innenverhältnis definieren und die arbeitsrechtlichen Bedingungen, unter denen sie arbeiten, stärker in den Blick nehmen.

Das sage ich nicht nur als Gewerkschaftsmitglied, sondern vor allem als homo politicus, denn es geht nicht nur darum, nicht dermaßen regiert zu werden, sondern auch darum, unsere Rechte als Arbeitnehmer*innen nicht nur zu wahren, sondern auch gegen bürokratische Führungsansprüche zu verteidigen.

[Mittwochs-Reflexion 2022|06] blättern [Mittwochs-Reflexion 2022|04]

eingestellt am: 8.6.2022 | zuletzt aktualisiert:8.6.2022
index: [a] | [b] | [c] | [d] | [e] | [f] | [g] | [h] | [i] | [j] | [k] | [l] | [m] | [n] | [o] | [p] | [q] | [r] | [s] | [t] | [u] | [v] | [w] | [x] | [y] | [z]


literaturgeschichten | chronos | kommentar | publikationen | index | downloads | impressum