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Mittwochs-Reflexion | Über freie Meinungsäußerung
2022|04


Heute möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, welche Bedeutung der Meinungsbildung oder einer Meinungsäußerung zur Schule im Allgemeinen und zu Vorgängen in einer spezifischen Schule zukommt. Was ich vorneweg sagen kann, dass meine Erfahrung, die ich über die vielen Jahrzehnte, die ich im Bildungssystem zugebracht habe, nahelegt, dass Meinungen zwar durchaus erwünscht sind, dass man sich unebdingt einbringen soll, dies aber nicht mit allzu öffentlicher Wirksamkeit und Durchschlagskraft tun sollte. Und dies gilt nicht nur an Universitäten, sondern auch im Besonderen an Schulen. Warum? Weil Lehrkräfte Menschen und Arbeitskräfte sind, die unter besonderer Beobachtung stehen? Kann sein, denn wir werden von vielerlei Seiten misstrauisch beäugt. Von Schüler*innen, von Eltern, von der Politik, dem Ministerium und jeder nur erdenklichen Personen, die mit Schule zu tun hat oder mit Schule zutun gehabt hat, also im Grund von jedem und jeder, da jeder einmal Schüler oder Schülerin gewesen ist.

Jede Antwort, die wir auf eine von uns als Lehrer*innen gestellte Frage geben, ist daher problematisch, wenn sie das Licht der Öffentlichkeit erblickt, denn sie fällt immer, im Positiven wie im Negativen auf die Lehrkraft und damit auf die Schule, in der diese Lehrkraft tätig ist, zurück und damit auf die Direktion und den Lehrkörper. Sollen wir uns aber deshalb der Stimme enthalten, und uns unseren Teil denken und unter uns diskutieren, keinen öffentlichen Diskurs suchen, weil die Antworten, die wir finden würden, gegen uns verwendet werden könnten? Ich sage, Nein. Was ist, darf auch öffentlich ausgesprochen und muss öffentlich diskutiert werden, denn ohne öffentlichen Diskurs ist eine Debatte immer nur so gut, wie die Beteiligten, die sie führen.

Vielleicht wagen wir es aber auch nicht, unsere Meinung vehement zu vertreten, weil wir damit in den Focus derer geraten, die über uns bestimmen, die mit und durch uns Politik machen, deren Instrument und Werkzeug wir als Mitarbeiter*innen einer Bürokratie sind, mit denen Politik gemacht wird. Die Frage ist, ob wir uns dieser Werkzeugfunktion als Lehrkräfte bewusst sind, ob sie eine Bedeutung für uns hat oder ob wir sagen, ich mache nur meinen Job, was politisch rund um mich läuft, interressiert mich nicht, oder noch drastischer, ist mir egal. Was umso problematischer ist, da wir Lehrer*innen in hohem Maße roll models für unsere Schüler*innen sind.

Warum also fürchten wir öffentliche Meinungsäußerungen im Schulsystem dermaßen. Vor allem diejenigen, die schriftlich gemacht werden, veröffentlichte Meinungen. Nichts fürchten Bürokratien in einer Mediengesellschaft mehr, als Schriftlichkeit. Es ist ja kein Zufall, dass Zensor*innen, in schwierigen politischen Zuständen, als erstes Internetsperren verhängen. Eine der größten Errungenschaften unserer Zivilisation und ihren Kritiker*innen ist nämlich die Schrift, aber nun, da die Aufklärung der Bürger*innengesellschaft an ihre Grenzen stößt (weil immer mehr Interessengruppen ein Stück vom Kuchen abhaben wollen und sich lautstark zu Wort melden), scheint das Schreiben von Nachrichten, Mitteilungen, Gedanken und Reflexionen gefährlich – auch und vor allem in unseren Demokratien. Auch und vor allem in den Schulen, die ja als Organisationen eigentlich eine aufklärerische Funktion haben, die von der Politik nicht nur erwartet, sondern oft auch eingefordert wird.

Gleichzeitig kann man aber auch festhalten, nichts ist stärker den ideologischen Stürmen der Jahrunderte ausgesetzt gewesen wie die Bildungspolitik, nichts ist umkämpfter gewesen wie die Bildungssysteme, weil alle Politiker*innen, Lehrer*innen und Eltern immer schon wussten, in den Schulen wird der Grundstein dafür gelegt, wie Menschen in Zukunft denken und handeln werden. Da sich dieses Denken und Handeln aber immer in ideologischen Diskursen vollzieht, wollen möglichst viele den Ort, an dem sich das Denken und Handeln zu einem großen Teil entwickelt, unter ihren Einfluß bringen.

Darum ist es auch so wichtig, klar zu machen, welche ideologische Position eine Lehrkraft vertritt, denn ihr ideologischer Standpunkt bestimmt, wie sie sich einerseits gegenüber den Schüler*innen verhält und andererseits, wie sie gegenüber Schulbürokratien auftritt, damit einer oder eine, der oder die in den Schuldienst eintritt, weiß, an wen er sich mit seiner politischen Einstellung halten kann, von wem er/sie Solidarität erwarten kann und wem er/sie besser nicht den Rücken zukehrt. All das muss eine Lehrkraft heute in schmerzlichen und leidvollen Erfahrungsprozessen selbst herausfinden, um sich einen Platz im Lehrkörper zu suchen, an dem sie sich einrichten und ihr Arbeitsleben verbringen kann.

Warum mir diese Frage so wichtig ist? Weil ich nicht der Meinung bin, dass eine Schule eine politikfreier und ideologiefreier Raum ist. Das kann er schon auf Grund des Faches politische Bildung nicht sein, das ja eine Querschnittsmaterie ist und laut Lehrplan in allen Fächern unterrichtet werden soll. Und das kann sie schon auf Grund des in Artikel 14 (5a) der Bundesverfassung formulierten Abspruchs von Bildungspolitik nicht sein, der da lautet:

Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen sind Grundwerte der Schule, auf deren Grundlage sie der gesamten Bevölkerung, unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund, unter steter Sicherung und Weiterentwicklung bestmöglicher Qualität ein höchstmögliches Bildungsniveau sichert. Im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Schülern, Eltern und Lehrern ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten, pflichttreuen, musischen und kreativen Menschen werden, die befähigt sind, an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen. Jeder Jugendliche soll seiner Entwicklung und seinem Bildungsweg entsprechend zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt werden, dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt werden, am Kultur- und Wirtschaftsleben Österreichs, Europas und der Welt teilzunehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.

Besonders gefällt mir der Passus, in dem wir Lehrkräfte dazu aufgefordert werden, Jugendliche zu selbstständigem Denken und sozialen Verständnis zu führen. Mehr noch aber ist dort, wo von moralischen Werten die Rede ist, die Ideologie nicht weit und Misstrauen berechtigt, denn welche Ideologie herrscht, bestimmt immer die Mehrheit oder eine tatkräftige und repressive Minderheit.

Umso wichtiger ist es daher, dass moralische Werte durch Lehrkräfte in vielfältiger Weise in einer Schule nicht nur vertreten, sondern auch vorgelebt werden, damit sich die Schüler*innen eine eigene Meinung bilden können und sich damit einen Weg im gesellschaftlichen Wertedschungel suchen und bahnen können.

Eines kann ich aber heute mit Sicherheit festhalten, seit ich mit meinen Mittwochs-Reflexionen begonnen habe, kann ich zwar nicht immer mit hunderprozentiger Sicherheit die ideologische Position von Personen in meinem Unmfeld einstufen, aber ich habe herausgefunden, wem ich mich anvertrauen kann und wem ich besser nicht meinen Rücken zukehren sollte.

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eingestellt am: 15.6.2022 | zuletzt aktualisiert:15.6.2022
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