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Mittwochs-Reflexion | Über Geld und Solidarität
2022|02


Auf meine letzte Mittwochs-Reflexion habe ich zwei interessante Anmerkungen zu meinem Text bekommen, die mich zum Nachdenken angeregt haben und ebenso zum Widerspruch verleiten. Ich möchte an dieser Stelle darauf näher eingehen, weil sie mir symptomatisch für eine Zeit scheinen, in der dem Dystopischen offensichtlich mehr Raum gegeben wird, als dem Utopischen.

Die eine Anmerkung war derart, dass darin betont wurde, dass nicht jede*r vor allem des Geldes wegen Lehrer*in geworden sei. Die zweite Anmerkung bestand darin, dass der Begriff no pasarán in einem Text über die Schule doch befremdlich wirkt. Beides dürften zutreffende Aussagen sein, die mich zu einer Antwort veranlassen, die ich hier präziser ausführen möchte.

Zum Ersten: Schon allein die Zurückweisung, dass nicht jeder vor allem des Geldes wegen Lehrer*in wird, zeigt ja, dass es so scheint, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen., als wäre es eine Beleidigung, wenn man Lehrer*innen vorwirft, ihre Tätigkeit wie einen Job auszuüben, nämlich professionell, und dafür einfordert, auch angemessen bezahlt zu werden. Mag ja sein, dass bei der Studienwahl nicht das Geldverdienen im Vordergrund steht, denn auch ich wollte schon mit siebzehn Jahren Lehrer werden, doch das Leben hat mich auf diverse berufliche Ab- und Umwege geführt, letztlich in den Beruf des Schriftstellers. Aber irgendwann kam dann der Tag, an dem das Arbeitsamt, die Familienplanung und die wirtschaftlichen Umstände es nicht mehr zuließen, dass ich mich mit prekären Arbeitsverhältnissen von einem wissenschaftlichen Projekt zu einem anderen kulturellem Projekt schleppte, gleichzeitig hochqualifiziert wie unterbezahlt.

Und dann kommt dieser Tag, an dem ich eine Entscheidung treffen musste: Umschulung auf eine Pflegekraft, Beschäftigungsmaßnahme in einer Einrichtung für Langzeitarbeitslose oder nochmals zurück auf die Studienbank, dreieinhalb Jahre Studium nachholen am Rande der Lebensmitte, um Lehrer zu werden. Ich habe mich für das Zweite entschieden, denn ich habe im Grunde nichts anderes gelernt, als mit Sprache und Menschen zu arbeiten. Warum also nicht meine Muttersprache unterrichten und mit Schüler*innen arbeiten, dachte ich mir. Doch letztlich bleibt meine ursprüngliche Aussage aufrecht, nämlich: Ich wäre kein Lehrer geworden, könnte ich vom Schreiben leben, denn im Grunde unterrichte ich, um zu überleben und schreibe, um am Leben zu bleiben.

Dennoch bleibt die Frage: Was denn so ehrenrührig dabei sein soll, wenn man sagt, dass man seinen Job nur wegen des Geldes macht – wie das bei wahrscheinlich bei mehr als 90% der Menschen der Fall ist. Man würde das bei einem/einer Supermarktkassierer*in ja auch nicht in Zweifel ziehen oder bei einem/einer Bankangestellten oder bei einem/einer Straßenkehrer*in oder bei einem/einer Fließbandarbeiter*in oder … oder … oder …

Sich dem Gefühl hinzugeben, dass das Geld zweitrangig sei und der erste Impuls immer aus einer Wahlmöglichkeit entspringt, verkennt eine wichtige und meines Erachtens auch entscheidende sowie offensichtliche Tatsache, nämlich, dass man im Kapitalismus immer und vor allem arbeitet, um zu überleben. Außer in dem seltenen Fall, dass man das Privileg geerbt hat, einen Job ausführen zu dürfen, in dem man ausreichend Einkommen lukriert, um sich somit den Luxus zu leisten, die Müllhalde des Lebens zu verlassen und ex cathedra die Welt zu erklären, um sich dabei wohlig warm in der eigenen ideologischen Behausung einkuscheln zu können.

Zum Zweiten: Der Begriff no pasarán ist ein Klassiker der Linken und bedeutet Sie werden nicht durchkommen. Die Aussage, es sei befremdlich, diesen Begriff im Zusammenhang mit der Schule oder dem Schulsystem zu verwenden, zeigt ja nur, dass es offensichtlich eine Art von linkem Monopol auf bestimmte Begrifflichkeiten gibt, dass es offensichtlich einen bestimmten Kontext gibt, in dem dieser Begriff verwendet werden darf. Und wenn ich vermuten müsste, ist dies ein antifaschistischer Kontext. Nun ja, das mag sein und es mag auch sein, dass es in der Schule keinen Faschismus gibt, aber erweitert man den Kontext und sagt, dass mit Sie die Herrschenden im Allgemeinen gemeint sind, dann denke ich, wäre es durchaus legitim, diesen Begriff auch auf die Schule anzuwenden; denn wer behaupten würde, dass Schule ein herrschaftsfreier Raum sei, der/die ist entweder naiv, lügt oder verkennt die wahren Verhältnisse in unseren Schulen.

Mag sein, dass es so manchem Linken sauer aufstößt, wenn ich no pasarán im Kontext der Schule nutze, um auf bestimmte Zustände aufmerksam zu machen, dass ich mich gewissermaßen erdreiste, den Ausruf einer Frau, die sich im antifaschistischen Widerstand befand, zu nutzen, um meine Argumentation aufzuwerten. Aber: Wenn sich Herrschaft, egal ob in ihrer absolutesten Form oder in ihrer freundlichsten Ausprägung zeigt, dann darf sie damit nicht durchkommen. Wenn Herrschaft dazu führt, dass Menschen sich aus Angst, Not und Verzweiflung, auch wenn sie psychischer Natur ist und für uns manchmal nicht nachvollziehbar, wegducken müssen, dann dürfen die, die dafür verantwortlich sind, dass solches geschieht, nicht damit durchkommen.

Da halte ich es mit einem Wort von Bertolt Brecht, der einmal schrieb: Wenn in einer Stadt ein Unrecht geschieht, muss ein Aufruhr sein und wo kein Aufruhr ist, da ist es besser, dass die Stadt untergeht, durch ein Feuer, bevor es Nacht wird!

Und wenn mich jemand fragen würde, auf wessen Seite ich stehe, dann im Zweifel immer auf Seiten derer, die beherrscht werden. Auch wenn es manchmal schwierig ist und ich letztlich zu wenig Mut habe, mich soweit mit ihnen zu solidarisieren, dass ich mich mit ihnen in den Abgrund stürzen würde.

In der Schule allerdings gilt meine Solidarität immer den Schüler*innen, denn wie ich immer wieder mit Überzeugung sage: Schüler*innen sind nicht für die Lehrer*inen da, sondern die Lehrer*innen für die Schüler*innen.
Denn auch in der Schule steht eine Frage im Zentrum: Wer herrscht über wen und in welchem Ausmaß? Daher gilt: Auch in der Schule dürfen Sie nicht durchkommen.
Egal, in welchem Schafspelz sie sich zeigen und egal, wieviele Kreide sie gefressen haben.

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eingestellt am: 29.6.2022 | zuletzt aktualisiert: 29.6.2022
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