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Mittwochs-Reflexion | Über den Arbeitsaufwand eines Deutschlehrers
2022|01


In meiner dieswöchigen Mittwochs-Reflexion möchte ich mich mit einem Mythos beschäftigen, der in der Bevölkerung gerne in einer Art stiller Post weitergegeben wird, der besagt, dass Lehrer*innen weniger arbeiten müssten, als die übrige Bevölkerung. Dieser Mythos wirkt ja nicht nur in der Bevölkerung auf wundersame Weise und befeuert die Vorurteile gegen Lehrer*innen, sondern auch innerhalb des Schulsystems, wenn manche Direktion denkt, seine Lehrkräfte mit über das notwendige Maß hinausgehenden Organisationsaufgaben betrauen zu müssen, weil sie denkt, ihre Mitarbeiter*innen wären unterbeschäftigt.

Als bekennender Deutschlehrer, und ausschließlich dieses Fach unterrichtende Lehrkraft, möchte ich an dieser Stelle einmal vorrechnen, warum ich denke, dass ich mit den mir vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben durchaus in der Lage bin, die vom Bundesministerium für Unterricht von seinen Arbeitnehmer*innen geforderte Dienstzeiten einzuhalten. Dafür habe ich eine Tabelle erstellt, um für jene, die wenig Einblick in den Arbeitsalltag einer Lehrkraft haben, aufzulisten, welche Dienstleistungen, die wir im Zuge unseres Schuldienstes erbringen, zu Erfüllung der Dienstzeit einer Lehrkraft des Faches Deutsch beitragen.


Art Stunden Schülerzahl Wochen Organisation Hausübungen Schularbeiten Matura Gesamt
Unterricht 22 á 50min -- 36 -- -- -- -- 660
Webseite 2 -- 36 -- -- -- -- 72
Konferenz, etc. 1 -- 36 -- -- -- -- 36
Hausübungen 0,25 150 -- -- 18 -- -- 675
Schularbeiten 0,5 150 -- -- -- 2 -- 150
Matura 0,75 25 -- -- -- -- 1 18,75
Gesamt -- -- -- -- -- -- -- 1.611,75
Gesamt/Soll 38,5 -- 46 -- -- -- -- 1.771,00
Vorbereitungszeit 99,25 -- 46 -- -- -- -- ca. 2,2h/pro Woche


Eine kurze Erklärung der Tabelle: Die Gesamtstundenzahl errechnet sich aus den 46 Wochen, in denen ich je 38,5 Stunden arbeiten muss, bei einem Urlaubsanspruch von sechs Wochen. Das ergibt eine Jahresarbeitszeit von 1.771 Arbeitsstunden. Abzüglich der Ferienzeit verbringe ich 36 Wochen in den Klassen mit Unterricht. Die Gesamtschüler*innenzahl ist ein Durchschnittswert. Einer, der wie ich im Neurecht vom Staat engagiert wurde, hat im Schnitt sieben Deutschklassen zu je 22 Schüler*innen. Das ergibt 150 Schüler*innen. Im ersten Moment hört sich das nicht nach viel an, aber: Gebe ich nur jede zweite Woche allen Schüler*innen eine Hausübung (also 18 pro Jahr), bei einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von 15 Minuten pro Hausübung, sind das aufs Jahr gerechnet 675 Arbeitsstunden. Rechne ich nun alle Stunden, die ich mit meinen Dienstpflichten in den Klassen verbringe, zusammen, dann ergibt das eine Gesamtstundenleistung von 1.743,75 Stunden. Mir verbleiben also pro Woche (auf 46 Wochen gerechnet) gerade mal 132 Minuten Vorbereitungszeit für sieben Klasse. Also ungefähr 19 Minuten pro Klasse. Und wer schon einmal unterrichtet hat, weiß, das knapp zwanzig Minuten wohl gerade einmal für das Notwendigste reichen, allein die Vorbereitungszeit einer Schularbeit, von Nachschularbeiten will ich gar nicht reden, ist mit mindestens 30 Minuten zu beziffern und wie aus der Tabelle für jeden leicht abzulesen ist, hat ein Deutschlehrer bei sieben Klassen, vierzehn Schularbeiten auszuarbeiten. All das Gesagte führt natürlich dazu, dass Lehrkräfte mit zunehmendem Alter, bei gleichzeitig anbnehmender Leistungsfähigkeit, nicht mehr ausreichend Kraft und Zeit zur Verfügung haben, um in die Unterrichtsmaterialien zu investieren, was automatisch zu einem Qualitätsverlust führt.

Warum es hilfreich wäre, dass jede Lehrkraft eine Stundenaufstellung macht?

Damit in der Diskussion um zusätzlich Belastungen, die sich nicht aus den Unterrichtsbelangen ergeben, endlich einmal klar wird, dass Lehrer*innen nicht aus Jux und Tollerei organisatorische Tätigkeiten (Exkursionen, zusätzliche Konferenzen, über das notwendige Maß hinausgehende Weiterbildungen,...) verweigern. Lehrkräfte gelangen auf Grund ihrer Arbeitsbelastung und die vielfältigen Anforderungen im Schulalltag an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Ferienzeiten sind also, wie aus der Tabelle ersichtlich, keinesfalls Zeiten, in denen Lehrer*innen herumsitzen und sich ihren Hobbys widmen. Sie dienen dazu, die während der 36 Schulwochen geleisteten Überstunden, abzubauen, die am Wochenende geleisteten Dienstzeiten als Zeitausgleich zu konsumieren.

Hinzufügen möchte ich - und das sei allerdings als eine Randnotiz zu verstehen, weil es alle Pendler*innen in diesem Land betrifft -, dass ich zwei Stunden meines Tages im Auto verbringe, um meinen Schulweg zu absolvieren. Was das mit Menschen anrichten kann, vor allem wenn sie ihre Leistungsfähigkeit einbüßen, weil sie älter werden, und auch immer wieder chronische Krankheiten entwickeln, besingen bereits Sigi Maron mit seinem Lied Pendlerleben und Willi Resetarits in seinem Song Arbeit.

Doch das wäre ein Thema für eine gesonderte Mittwochs-Reflexion.

Was ich damit kurzgefaßt sagen möchte: Lehrkraft ist nicht Lehrkraft, jede und jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Umso wichtiger wäre es, an das Arbeitsrecht und die Arbeitspflicht differenziert und mit einem gewissen Wohlwollen heranzugehen. und nicht alle über einen Kamm zu scheren, denn auch in diesem gesellschaftlichen Feld ist der Generationenvertrag faktisch längst ausgehebelt worden.

Es gibt also einen guten Grund, warum manche Dienstnehmer*innen mit Neurecht, die mehr als drei Stunden die Woche für Konferenzen, Elternsprechtage, Elterngespräche, Arbeitsgruppen aufwenden, wie es aus der Tabelle hervorgeht, dies letztlich als übergriffig empfinden.
Aus der Tabelle geht auch klar hervor, warum der Beruf Lehrer*in nicht mehr attraktiv ist (und diese Stundenzahl ist noch recht konservativ gerechnet: Supplierungen, Überstunden, Elternabende, Klassenkonferenzen sind darin zum Beispiel noch gar nicht enthalten). Die Zahl der Organisationsstunden pro Woche ist insgesamt höher als diejenige der pädagogischen Vorbereitungsstunden auf den Unterricht.
Dies ist ein eigentlich unhaltbarer Zustand und führt wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, zu Dienst nach Vurschrift in der Lehrer*innenschaft. Und da sich naturgemäß die in den Schulen herrschenden Verhältnisse allgemein in der Gesellschaft herumsprechen, wird einer gesicherte und nachhaltig sinnvolle Attraktivierung des Lehrberufes nur über eine vielgestaltige Entlastung des pädagogischen Personals von organisatorisch-administrativen Tätigkeiten führen. Der Lehrer*innenmangel (damit will ich mich noch an anderer Stelle beschäftigen) ist also nichts anderes denn hausgemacht und wird wohl nicht in absehbarer Zeit leider nicht aus unserem Schulsystem verschwinden.

Als gelernter Deutschlehrer, der durchaus in der Lage wäre, auch das Fach Geschichte zu unterrichten (ich bin akademischer Historiker), darf und kann ich jedoch auf Grund der Reduzierung von Geschichtsstunden in den Stundentafeln (auf die bildungspolitischen Konsequenzen dieser politischen Entscheidung wäre an anderer Stelle näher einzugehen) nicht unterrichten.

Ich kann also in dieser Sache nur an alle verantwortlichen Führungsebenen appellieren:

Geben sie uns Lehrkräften die fordernde und förderliche Möglichkeit, uns auf unsere ureigentlichste und professionellen Aufgabe konzentrieren zu können, nämlich das Unterrichten: Nur ein umfassendes und vielgestaltiges Lehren durch motivierte und freie Lehrer*innen sichert eine gesellschaftlich anerkannte sowie auch für die Schüler*innen nachhaltige und erfolgreiche Schule des Lernens.
Sapere aude!


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eingestellt am: 6.7.2022 | zuletzt aktualisiert: 6.7.2022
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