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Warum mir kein Roman gelingen will - und Kafka daran schuld ist
Seit Jahrzehnten versuche ich mich am Erzählen, aber es will mir nicht so recht gelingen. Den Roman meiner Zeit wollte ich immer schreiben, mich durch den Roman in meine Zeit einschreiben, mich in sie hineinwühlen und sie nicht nur sichtbar machen, sondern in Stein meißeln. Doch die großen Geschichten zu erzählen, ihren Gestus herauszuarbeiten, scheint mir persönlich nicht mehr möglich zu sein. Mir ist es nicht gegeben zwei Jahrhunderte zu fassen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, das eine, das ich in seiner Mitte betreten habe, das Jahrhundert der Auslöschungen und das andere, das ich spätestens in seiner Mitte verlassen werde, von dem wir nur ahnen können, was es uns noch abverlangen wird und das uns eines Tages vielleicht in der Rückschau daran erinnern wird, wie bitter eine Zeit schmeckt, wenn man die Errungenschaften der Aufklärung über die Reeling der Geschichte wirft.
Rund um mich schreiben befreundete und bekannte Schritfsteller und Schriftstellerinnen Romane, als gälte es damit, die Welt zu retten, mit Herzblut und mit allem, was sie an künstlerischem Können aufzubieten haben und vieles davon ist treffend, genau beobachtet, einsichtig, nachvollziehbar, aber dennoch erlahmt in den meisten Fällen mein Interesse an diesen Erzählungen recht rasch, wie auch das Interesse an meinen eigenen Produkten rasch nachlässt, wenn die Euphorie des Beginns sich verflüchtigt hat und der schale Nachgeschmack an den Buchstaben haftet, wie der Rausch einer Nacht auf der Zunge vor Anbruch der Morgendämmerung. Vielleicht liegt es ja an meiner unterentwickelten Persönlichkeit, an meiner fehlenden Lust am spielerischen Umgang mit dem Erfinden von Geschichten, in denen sich das universell Erfahrbare unserer Existenz spiegeln könnte, an meiner fehlenden Freude daran, das Alltägliche erzählerisch sichtbar zu machen.
Vielleicht bin ich zu sehr davon überzeugt, dass das Verwandeln des Banalen in Kunst nicht automatisch etwas Großes, nicht selbstverständlicherweise ein Kunstwerk hervorbringt, sondern dadurch nur ein großes therapeutisches Unterfangen zu Ende geführt werden soll, ein Individuum geheilt werden soll, von einem erlittenen Schmerz. Vielleicht wollen manche mit ihren Romanen ein tiefes Ohmachtsgefühl betäuben, das aus der Not des Einzelnen vor der Übermacht der Kollektivs kapituliert zu haben, entspringt. Vielleicht ist alle Literatur ja auch nur Tarnung, der Versuch eine künstlerische, hilflose Geste, an die Stelle einer eigentlich revolutionären Handlung zu setzen, die Not täte, um die eigene Angst vor dem Verlust von Sicherheit und Freiheit mit dem Anschein einer künstlerischen Existenz zu adeln. Dagegen wäre ja nichts zu sagen, wenn wir es offen ansprechen würden, dieses Versagen, dieses Scheitern, diesen Nutzen, der aus der Not und Verzweiflung entsteht. Für den einzelnen Schrifsteller, für die einzelne Dichterin mag das beruhigend, befreiend und notwendig sein, aber Kunst ist das daraus entstehende Produkt noch lange nicht. Darüber sollten wir uns nicht hinwegtäuschen, nur weil wir unsere Texte für genial, originell oder unausweichlich halten.
Aber an dieser Stelle will ich keinen Kunstdiskurs vom Zaun brechen, sondern mir die Frage stellen, warum mich Kafka für das Schreiben von Romanen verdorben hat, warum mir das Erzählen nicht gelingen will, warum es so schwer ist, das, was Welt ist und war, in einer Erzählung zu fassen. Geschichten formulieren sich ja in Zeit und Raum und sind daher Ursache von allem. Wenn sich aber, wie in unserer Gesellschaft, Zeit und Raum nicht mehr klar von einander trennen lassen, weil der Raum sich in der digitalen Welt zu verflüchtigen droht und die Zeit, die wir in der digitalen Kommunikation benötigen, um den Raum zu durchqueren, gegen Null tendendiert, dann ist Kafkas Literatur, in der Zeit und Raum keine Bedeutung mehr für das Erzählen haben, tatsächlich die modernste Form der Prosa, die wir finden können und alles, was danach kommt, wäre dementsprechend nicht mehr der epische Zugriff des Romans auf das Leben in seiner ganzen Totalität, wie Georg Lukács es formulierte, sondern nur noch therapeutische Bewältigungsliteratur und dagegen wäre ja nichts zu sagen, wenn die Autoren und Autorinnen nicht immerfort den künstlerischen und politischen Gestus vor sich hertragen würden, aus dem sie ihr soziales Kapital schlagen, denn anderes lässt sich nur selten mit Schreiben gewinnen.
In unser aller Prosa hat sich das ICH eingeschlichen, hat sich eingenistet und treibt uns zu wahrlich künstlerischen Höhenflügen. Doch was können wir mit und durch ein ICH hindurch noch erzählen, selbst wenn wir ein ganzes Arsenal an verschiedenen Individuen aufbieten würden, wie einst Dostojewski in seinen besten Tagen, deren Wege sich unaufhörlich kreuzen, auf denen sie sich wieder aus dem Auge verlieren, um dadurch ein Netzwerk an sozialen und politischen Verhältnissen sichtbar zu machen. Welt, wie manche sagen würden. Wird das Leben dadurch aber in seiner ganzen Totalität sichtbar? Wohl kaum. Aber vielleicht war ja das immer schon ein zu hoher Anspruch in der bürgerlichen Literatur, einen derartig totalitären Zielhorizont überhaupt zu formulieren. Aber mit dem Totalitarismus hatte die bürgerliche Gesellschaft ja selten Berührungsängste gezeigt. Vielleicht haben wir uns aber, aus Angst wieder den eigenen Totalitarismen ausgesetzt zu sein, daran gewöhnt, in den kleinen Brötchen, die wir in der Prosa backen, das große Ganze zu vermuten und uns damit zufrieden zu geben.
Manche würden jetzt sagen, der Unbrauchbare sucht nur eine Ausrede dafür, dass er nicht gut genug ist, um den Roman seiner Zeit zu schreiben. Mag sein. Aber mich treibt etwas viel Grundsätzlicheres um: Was und wie lässt sich etwas über die Welt sagen, wieviele Details müssen wir zusammentragen, um das sichtbar zu machen, wovon wir beherrscht werden, ohne dass wir es wirklich wahrnehmen, weil wir uns frei fühlen in einer freien Welt. Ich will es einmal anders herum versuchen: Es hängt wahrscheinlich vom Anspruch ab, mit dem man zu schreiben begonnen hat, warum einer schreibt, was der Zweck seines Schreibens ist, denn jeder verfolgt einen Zweck, wenn er schreibt, denn keiner und keine schreibt absichtslos, zufällig, ohne Ziel und Richtung.
Also sollte ein Schriftsteller seinen Standort bekannt geben, von dem aus er sich der Prosa nähert. Warum ich am Erzählen gescheitert bin, hat vor allem mit meinem Versuch zu tun, die Welt in ihrer Totalität erfassen zu wollen, verstehen zu wollen, warum sie ist, wie sie ist und warum sie nicht so ist, dass ich in ihr leben kann, als wäre ich in ihr eingeboren. Ich denke, um Prosa, große Romane, totalitäre Romane zu schreiben, muss man entweder irgendwo eingewurzelt sein, irgendwo heimisch sein oder im Grunde auf der Suche nach einer Heimat, nach einer Welt sein. Kafka war auch in dieser Hinsicht der Anfang vom Ende des Erzählens, denn er suchte keine Heimat und er hatte keine Heimat und dennoch gelang es ihm, die Welt, wie sie zu seiner Zeit war, in all ihren Grausamkeiten und totalitären Zuständen sichtbar zu machen, vielelicht gerade weil er auf das Erzählen einer Geschichte verzichtet.
Und einer wie ich, der sich immer mit dem Totalitären in ihm selbst und in der Welt abgemüht hat, ist nun ein Verzweifelter, weil das Totalitäre sich mit Mitteln des Erzählens nicht mehr sichtbar machen lässt, denn das Totalitäre heute ist eben nicht mehr politisch, sozial, humanistisch, kapitalistisch oder wie immer wir es aus ideologischer Perspektive nennen wollen, das Totalitäre heute ist eben deshalb totalitär, weil es nichtmenschlich ist, weil es sich nicht mehr in sozialen Netzwerken zeigt, sondern in digitalen. Und da Geschichten immer Geschichten über Menschen erzählen, erlahmt mein Interesse an ihnen, denn eine Welt, in der der Mensch heimatlos und ziellos herumtreibt, weil alles, was menschlich in ihr war, vom technolgischen Fortschritt aus ihr ausgetrieben wurde, ist das Erzählen zum sentimentalen Reflex einer Kultur verkommen, in der der Android Commander Data sich immer noch aufopfert, um den Menschen Captain Picard zu retten. Der humanistische Reflex feiert in der Literatur fröhliche Urstände, um zu verdecken, dass sich Kafkas Mensch ohne Welt, letztgültig in Günther Anders Welt ohen Mensch verwandelt.
Doch wenn wir aus der Science Fiction etwas lernen könnten für unser Erzählen, dann könnten wir, zurückkehrend auf die Raumschiffe, die die unendlichen Weiten erforschen, erkennen, dass letztlich auch die Menschen sich opfern müssen, um den Androiden den Weg in die Mitte unserer Welt zu ebnen, denn Captain Picard opfert sich nun am Ende doch noch, um Commander Datas Tochter zu retten. Es bleibt aber eben der Wehrmutstropfen, dass er sein Leben aus humanistischen Beweggründen zur Verfügung stellt, um der Auslöschung der Menschheit durch eine überragende Maschinenzivilisation zuvor zu kommen. Der Mensch bleibt also im Mittelpunkt des Erzählens. Kein Entkommen aus dem Humanismus. Nirgendwo. Zu keiner Zeit. Kein Wagnis. Kein Hoffnung auf eine revolutionäre und radikale Literatur, die das Poetische in den Dienst des Antihumanismus stellt, der am Ende dieses Jahrhunderts auf uns wartet und dessen Vorboten allüberall bereits in Erscheinung tritt und von einer Welt kündet, in der alles Menschliche verloren sein wird.
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eingestellt: 27.7.2022 | zuletzt aktualisiert: 27.7.2022
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