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Manifest der Dreißigjährigen
Erste Wiener Denkfabrik | 1998
Life is like death without living.
Ein Gespenst geht um (auch in Wien). Das Gespenst der Dreißigjährigen. Wir stehen im Schatten und sind doch nicht unsichtbar. Wir stehen im Licht und sind doch nicht sichtbar. Wir haben alles Können, um zu leben und zu arbeiten, aber wir können nicht arbeiten und leben. Denn wenn wir arbeiten, können wir damit kaum überleben, geschweige denn leben. Wir fordern, was uns zusteht (Alles) und bekommen, was uns zugestanden wird (Nämlich Nichts!).
Wir sind keine Avantgardisten. Wir wollen nicht vorne sein. Wir wollen jetzt sein.
Gegenwärtig sein. Gegenwart sein. Wir sagen, die Gegenwart ist machbar. Sie ist nicht Flucht-, sondern Brennpunkt.
Wir wollen wieder brennen!
Wir scheißen auf den Ruhm und auf die Ewigkeit. Uns interessiert nicht der Kanon der Kunst. Uns interessiert nicht, was machbar ist. Uns interessiert nicht das Meisterwerk. Uns interessiert alleinig der kollektive, existentielle Prozeß - die Aussetzung. Uns interessiert nur diese eine lange Nacht, die auf uns wartet.
Und die Auferstehung von den Toten um uns.
Wir fordern keine Gleichheit, keine Freiheit, keine Brüderlichkeit. Gebt uns, was uns zusteht, denn wir sind leistungswillig, leistungsfähig, innovativ, machtgeil und geldgierig. Wir fordern keine Menschlichkeit. Wir werden nichts mehr aufbauen. Wir werden einfach nur anwesend sein. In den Trümmern, die wir hinterlassen. Vorerst.
Wir wollen euer Leben nicht!
Ja, ein Gespenst geht um (auch in Wien). Das Gespenst der Dreißigjährigen.
Wir pochen gegen Eure Türen. Zuerst war es ein Kratzen (68mal). Dann ein leises Klopfen (68mal). Dann schlugen wir fest an eure Türen (68mal).
Ihr aber lehnt euch zurück und atmet weiter auf. Ihr habt euch eingenistet in diesem Land, das von euren Eltern aufgebaut wurde. Fett und feist sitzt Ihr mit kapitalen Ärschen in kommoden altösterreichischen Verhältnissen.
Ihr habt nichts erkämpft – euch wurde gegeben. Das ist die Wahrheit!
Ihr habt alle Perspektiven dieses Jahrhunderts vernichtet und uns am Ende dieser Epoche, Moderne genannt, vor die Füße gekotzt. Uns Dreißigjährigen habt ihr das durch eure opportunistische Generation verdaute Jahrhundert vor die Füße gekotzt. Ihr habt auf den Katheder gewichst und geschissen. Ihr habt uns eine Revolution verkauft, die doch nur die Kehrseite und Verwertung des Versagens eurer Eltern war. Ihr zeigt Stärke bei Fortsetzung der alten Schwächen. Wir werden einfach nur anwesend sein in den Trümmern. Wir wollen so nutzlos sein, wie die Welt, die uns umgibt.
Wir sind bereit, uns zu verschwenden! An den/die Nächstbeste/n! Wir sind nicht mehr bereit, allzeit bereit zu sein!
Wir Dreißigjährigen sind eine verlorene Generation. Verloren, weil wir zwischen den Interessen und Intrigen der Generationen vor uns und nach uns verloren gegangen sind. Die 68er hatten jahrhundertealte Träume und die Generation X ihre alptraumhaften, ekstatischen Untergangsvisionen. Die Generation X ist die Generation, die am Morgen nach 1968 aufgewacht ist. Wir haben Erfahrungen gemacht, die uns keiner mehr nehmen kann.
Wir werden geben, bis wir aufwachen.
Wir sind die Generation, vor der die 68er uns immer gewarnt haben. Wir hoffen noch immer auf eine einvernehmliche Lösung, aber im Zweifelsfall entscheiden wir gegen den Angeklagten. Denn wir haben nichts zu verlieren: kein Geld, kein Prestige, keine Öffentlichkeit. Und politisch haben wir ohnehin nur zu gewinnen, denn wir wurden schon vor Jahren von den Günstlingen des Wirtschaftswunders verraten und verkauft.
Wir die Dreißigjährigen.
autor: anders&bahr | eingestellt am: 8.4.2020 | zuletzt aktualisiert: 8.4.2020
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