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Bedingungsloses Grundinterview | Daniel Ableev fragt | Raimund Bahr antwortet


Daniel Ableev: Wie würden Sie einem Regenbogen, der bekanntermaßen nicht zu den schlausten Zeitgenossen zählt, erklären, was Bedingungsloses Grundeinkommen (im Folgenden „Bemm“) ist und wie es funktioniert?
Raimund Bahr: Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet, dass jeder Mensch, der in einer bestimmten Gesellschaft lebt, eine bestimmte Geldsumme pro Monat erhält, ohne dafür Lohnarbeit leisten zu müssen. Er bekommt das Geld einfach deshalb, weil er als Mensch existiert.

Das Bemm ist ja angesichts der heutigen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen reichlich experimentell. Anders gefragt: Warum gilt es eigentlich als so normal, etwas tun zu sollen, um zu überleben?
Etwas zu tun, ist ja ganz normal. Jeder Mensch tut etwas, selbst wenn er nur auf der Couch sitzt und in die Luft starrt oder wie ich eben an den Antworten für diese Fragen arbeitet. Jeder Mensch arbeitet in gewisser Weise. Das tun, hat ja mit dem ökonomischen Überleben einer Person nur insofern zu tun, als in unserer kapitalistisch organisierten Wirtschaftsform, jemand nur dann überleben kann, wenn er genug Einkommen hat oder über genügend Geld verfügt, um sich Wohnung, Nahrung und Kleidung leisten zu können. In einer anderen Wirtschaftsform wäre es vielleicht möglich, auch ohne Geld zu überleben, aber tun würden wir dann trotzdem etwas. Oft wird in der Debatte behauptet, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe, dann würden die Leute nichts mehr arbeiten. Daran glaube ich nicht, das ist einfach Greuelpropaganda. Sie würden vielleicht keine Lohnarbeit mehr machen, in Bereichen, die ihnen keine Freude bereiten, aber arbeiten würden sie dennoch, denn der Mensch ist ein Arbeitstier, kein Faultier.

Sollte man versuchen, zum Bemm über kleine Zwischenschritte wie die gesetzlich geregelte 4/3/2-Tage-Woche zu gelangen?
Ich bin der Meinung, dass es ein Antragsrecht geben sollte. Schließlich ist für viele Menschen der soziale Status heute noch an die Lohnarbeit gekoppelt. Manche fühlen sich einfach nicht wohl, wenn sie nicht lohnarbeiten. Warum sollen wir Menschen ihre Lohnarbeit wegnehmen, die daraus zum großen Teil ihre soziale Identität schöpfen und sie in ein System zwingen, dass sie nicht wollen. Gleichberechtigung heißt ja Anerkennung der Unterschiede von Menschen, nicht deren Gleichschaltung. Mit einem Antragsrecht auf Grundeinkommen könnte jeder und jede, der/die das will, ein Grundeinkommen beziehen. Da gibt es dann keinen Zwang, sondern eine Freiwilligkeit und es gäbe einen sanften Übergang, der auch die Budgets nicht überfordern würde, wenn wir bedenken, dass wir ohnehin Arbeitslose, Pensionisten, Karenzbezieher im Grundeinkommen haben. Wir könnten uns mit einem Schlag die ganze Arbeitslosenverwaltung sparen und die Arbeitssuche Menschen überlassen, denen diese Vermittlungstätigkeit Freude bereitet und die freiwerdenden Mitarbeiter werden entweder in andere Jobs vermittelt oder können Grundeinkommen beantragen.

Was ist mit Primaten, Delfinen und Rabenvögeln?
Na ja, die würden weiterleben wie bisher. Obwohl natürlich die ökologischen Auswirkungen eines Grundeinkommens beträchtlich wären, denn eines ist auch klar, wer jeden Monat Geld überwiesen bekommt, wird es ausgeben. Das kann entweder in die ökologische Katastrophe und damit zum Aussterben der oben genannten Tierarten führen oder dazu, dass Menschen beginnen ökologisch unbedenklich hergestellte Produkte zu kaufen, mit ihrem Einkommen energieeffiziente Produktentwicklungen zu fördern oder bei regionalen Anbietern ihre Lebensmittel erstehen.

Geldverdienen und Königshäuser – was sind Ihre Assoziationen zu diesem Diptychon?
Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Daran hat sich nichts geändert. No pasarán!

Was ist mit den ganzen Scheißjobs da draußen, die nicht nur langweilig und menschenwidrig, sondern auch schlecht entlohnt sind? Sollten sie nicht viel besser bezahlt sein? Wer wird die noch machen in der Bemm-Ära?
Diese Scheißjobs wird es auch mit einem bedingungslosen Grundeinkommen geben, doch es wird nur noch jemand diese Arbeit machen, wenn er mehr dafür bekommt, als das Grundeinkommen ausmacht. Ich glaube ja nicht, dass der Kapitalismus mit dem Grundeinkommen verschwindet oder der Sozialismus einzieht. Es kommt nur zu Umverteilungsprozessen über die Arbeitsleistung von Menschen. Wer nicht selber putzen will, muss diese Dienstleistung in Zukunft teuer zukaufen. Das Grundeinkommen soll ja kein Lohnarbeitsverbot beinhalten. Wer mit der ausbezahlten Summe unzufrieden ist, kann sich ja weiterhin verdingen, um sich Dinge leisten zu können, die er mit dem Grundeinkommen nicht erwirtschaften kann. Über die Steuer wird ihm dann ein Teil des Lohns wieder entzogen, so wie jetzt auch. Nur kann er eben lohnarbeiten, muss es aber nicht.

Wie realistisch ist die Implementierung des Bemms in den nächsten 10(0000) Jahren?
Sehr wahrscheinlich. In der Mongolei haben sie ja sowas Ähnliches, wenn ich richtig informiert bin. In vielen Ländern wird es bereits diskutiert. Es führt meines Erachtens, in einer Zeit, in der Revolutionen nicht mehr gelingen, kein Weg am bedingungslosen Grundeinkommen vorbei. Der Vorteil des Grundeinkommens ist ja, dass es nicht ideologisch besetzt ist, es ist nicht antikapitalistisch und nicht prosozialistisch, sondern ein einfacher und effizienter Weg, um zu einer Umverteilung der monetären Mittel, die in einer Gesellschaft vorhanden sind, zu kommen. Voraussetzung ist natürlich, dass jeder, auch die, die derzeit den Reichtum besitzen, ein Grundeinkommen erhalten, dafür wird aber alles, was darüber hinaus in ihrem Besitz ist und zum Beispiel durch Kapitalerträge hinzukommt, besteuert. Es wird sozusagen das Gesamtvermögen jedes Jahr bewertet und besteuert. In der Schweiz ist das ja auch ohne Grundeinkommen schon so. Das ist also ganz einfach und bedarf keiner besonderen Systemänderung oder eines Systemsturzes. Wir müssen nur unser steuerliches System ändern und unsere Einstellung zum Wert menschlicher Existenz. Die Superreichen werden jedes Jahr ein wenig ärmer und durch das Antragsrecht ergibt sich ein langsamer ökonomischer Ausgleich in der Gesellschaft. Die Steuerbehörden wären dann nur mehr damit beschäftigt, genau diesen Prozess umzusetzen.

eingestellt am: 21.10.2017 | zuletzt aktualisiert: 21.10.2017
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