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Raimund Bahr fragt | Christian Kloyber antwortet | 2001 | Strobl
Im Rahmen des Projektes Zeitzeug/inn/enhorizonte
Raimund Bahr
1977 bist du nach Mexiko gegangen, 1986 bist du zurückgekommen. Der Zeitraum dazwischen war eine entscheidende Phase der österreichischen Innenpolitik. Kreisky, die Friedensbewegung, die Antiatombewegung udn schließlich die Arenabewegung, aus der sich heute noch die österreichische Innenpolitik intellektuell speist. Frage ist, wie war das für dich, diese entscheidende Phase nicht miterlebt zu haben und dann noch nach Strobl versetzt zu werden.
Christian Kloyber
Na ja, man ist ausgeschlossen von der heutigen österreichischen Kleingesellschaft, dort wo sich was tut, wo man als Intellektueller seine Projekte und seine Anerkennung bezieht. Da habe ich kein Zuordnungssystem, da kennt man mich zum Teil auch nur am Rand. Ich war zwar in der Arena ein paar Tage lang, die Zwentendorfgeschichte hat gerade begonnen, 1977. Das war purer Aktivismus. Ich kann mich gut erinnern, daß sie mich immer angesprochen haben, Stellung zu beziehen. Ich habe Geographie und Germanistik in Wien studiert. Bei den Geographen war das ein polarisierendes Thema, ein Teil der Geographen war gegen ein Teil war für Zwentendorf, denn das Kraftwerk sei ein Garant für den Naturschutz. Und Zwentendorf wäre auch ein Garant dafür gewesen, daß Hainburg nicht gebaut würde, denn dann gäbe es genug Energie. Einige Geographen sagten, das ist ihnen wurscht, weil es ist eh nur der Mensch der zugrunde geht. Aber die Natur, die Au bleibt ja erhalten. In diesem Diskurs war ich irgendwie überfordert. Auf der einen Seite bin ich mit dem Marxismus groß geworden, als eine Waffe gegen meine Lehrer in der Schule, weniger dann an der Universität. Bei den Geographen war das eine ganz kleine Gruppe, die jetzt die kritischen Geographen sind. Das habe ich am Rande noch mitbekommen. Ich habe also die Aufbrüche gesehen. Das Dramatischte für mich, im deutschsprachigen Mitteleuropa, war eigentlich die Baader-Meinhof-Geschichte, die Opec-Geschichte in Wien, das waren all diese Kontroll- und Überwachungsstaatssysteme. Das kann man sich heute alles gar nicht mehr so vorstellen, was damals, bei der Fahrt von Wien nach Frankfurt zum Flughafen alles kontrolliert, was da photographiert wurde. Eine jede Kamera hat die Langhaarigen beobachtet.
Es war Stammheim zu dem Zeitpunkt.
Ja, genau. Das ist ein Bild, das ich mitbekommen habe. Dieses kontrolliert werden, das zum Exzeß getriebene metternichsche System. Gut. Und dann kam ich 1986 zurück. Ich bin ziemlich krank gewesen. Da dachte ich, in Österreich sind die besseren Medizinmänner zu Hause. Wenn man sich viel mit Exil beschäftigt, glaubt man wirklich, daß es die Wiener Schule in der Medizin gegeben hat. Beim Jobsuchen kam ich dann wieder an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes [DÖW] und habe dort an der Vorbereitung für die Ausstellung Wien ‘88 angedockt. Ich habe also thematisch Österreich verlassen in einer Krisensituation für mich. Die Krise hat geheißen: der demokratische Entwurf eines Staates wird durch den Staat selbst begrenzt, gefährdet durch die Einführung eines starken Überwachungssystems, um Gruppen des Staates zu überwachen, die potentiell gefährlich werden könnten und das waren die Linken. Das war das System 1977.
Vor allem in Deutschland, oder?
Aber in Österreich, nicht unähnlich wie 1937, 1938 gab es schon so kleine Gruppen und Zellen des Geheimdienstes des Deutschen in Österreich, die das auch schon gemacht haben. Wie man jetzt bei dem Akt von Gottfried von Einem draufkommt, bei diesen Überwachungsgeschichten im Waldviertel, wo er seinen Hof hatte und wo man glaubte, in der Nähe gäbe es Baader-Meinhof Sympathisanten oder Flüchtlinge, und da hat man ihn auch gleich mitkontrolliert. Und das österreichische Überwachungssystem, nehme ich einmal an, ist einfacher, weil Österreich sehr viel kleiner ist. Damit ist das österreichische Überwachungssystem viel dichter und besser als das deutsche. Das ist meine Vermutung. Meldegesetz: Vom Postler über die Fernsehanmeldung, weiß man, wo die Leute sitzen. Das war ein sehr dichtes System damals. Heute ist das schon viel schwieriger. 1977 war Österreich eine kleine Welt. Man war nicht so mobil, man wohnte immer in der gleichen Gegend, man wußte wer der Fremde ist.
Und dann kommt man 1986 zurück. Und da ist das Thema und das Dilemma nicht mehr diese Polarisierung wie 1977: auf der einen Seite der Staat, der immer mehr Kontrolle übernimmt und auf der anderen Seite die Alternativen, die sich bewußter politische Räume suchen, Arenabewegung als Metapher. Und dann die Wissenschaft, die bis dahin funktioniert hat für die große Gesellschaft, für die kleine eh nicht, für die Experten, wird plötzlich aufgelöst. Denn Wissenschafter, denen glaubte man. Hugo Portisch im Fernsehen. Bei den Weltraumübertragungen saßen die Wissenschafter und haben den Leuten übers Fernsehen erklärt: Da ist der Mond und der ist rund, da fliegt man hin, und so. Das war alles klar. Der Wissenschafter weiß die Wahrheit. Und dann kommt Zwentendorf und der Wissenschafter weiß überhaupt keine Wahrheit. Die einen sind dafür, die anderen sind dagegen. Der gleiche ist dafür und dagegen. Also 1977: Auflösung der Wissenschaftlichkeit, Suche von politischen oder vorzivilgesellschaftlichen Räumen, die heute Zivilgesellschaft heißen und das Kontrollsystem.
1986/88 komme ich hierher: Projekt 88 - 50 Jahre Anschluß. Und plötzlich geht es wieder um das gleiche Thema für mich. Nur aus einer anderen Warte: der Konfrontation bzw. Gegenüberstellung zwischen dem Bild von Geschichte, das Historiker haben zum Jahr 1938, der Moral, die man darüber entwickelt hat und der Scheinmoral, die existiert und den tatsächlichen politischen Problemen bis 1988; Also Kreiskys Imperium geht zu Ende, ein radikaler Machtverlust der führenden Partei SPÖ, die Unfähigkeit der anderen politischen Gruppierung da etwas zu tun, einzutreten in die Macht. Und dann noch eine für mich tolle Symbolfigur, fast schon eines habsburgischen Zuschnitts: Waldheim. Das war so eine Figur wie Kaiser Maximillian von Mexico oder der Kaiser Franz Josef und so. Irgendwie unschuldig aber auch schuldig. Irgendwie schlacksig diplomatisch und vertrauenswürdig und das Gegenteil im gleichen Moment.
Ist nicht Haider in dieses Machtvakuum vorgestoßen?
Wann war der Putsch von Haider in der FPÖ?
1986.
Da war die Sache mit dem Reeder Handschlag. Die FPÖ ist Koalitionspartner. Das ist irgendwo im Schatten passiert. Also in meiner persönlichen Umgebung habe ich ganz faschistoides Gedankengut mitbekommen: auch bei der SPÖ, ganz persönlich kennengelernt im Waldviertel. Da wurden dankbarst Faschisten als Gemeindeärzte von der SPÖ aufgenommen, weil es ein Vakuum gab. Die Emigranten sind nicht zurückgekommen und die anderen sind im KZ umgebracht worden und man brauchte brainware in der SPÖ.
Die FPÖ war die Nachfolgepartei der Nazis und die wurde nach 1945 bewußt aufgebaut, um von den anderen beiden Parteien akzeptiert werden zu können, denn die KP ist unmöglich gewesen auf Grund von Putsch bis Prager Frühling. Die ÖVP war im Grunde die familiäre Referenzpartei, weil mein Vater aus dieser ländlichen konservativen Gegend kam und noch im Raiffeisen Lagerhaus gearbeitet hat, als Filialleiter. Das war der grüne Kommunismus, so hieß das, glaube ich. Und da habe ich im Grunde wenig Faschistoides vorgefunden, nur unheimlich Klerikal-konservatives. Und das macht es natürlich schwierig, denn eigentlich weiß man, daß dort wo der Marxismus zu Hause sein könnte, zwei große Probleme sind, bei der SPÖ der Faschismus und bei der KP der Stalinismus. Und die Nachfolgepartei der Nazis heißt FPÖ, verpackt in Papiere und was weiß ich. Und dann der Versuch der österreichischen Parteienlandschaft das zu korrigieren, zu radieren und zu verbessern. Und alles gut gemacht, würde ich sagen. Die ÖVP, wo ich am wenigsten Faschistoides geortet habe, dort bin ich auf Grund der klerikalen Rückwendung nie zu Hause gewesen. Im Grunde sind sie die Legitimisten gewesen, um nichts besser als ein Monarchist. Und in dem Sinne ist Schüssel für mich eine monarchische Haltung. Er redet nicht viel und seine Angestellten arbeiten. Nicht dumm.
Jetzt habe ich dir eine falsche Fährte gelegt, glaube ich, mit der FPÖ. Wie war das jetzt für dich mit dem Zurückkommen?
Es war eigentlich eine wahnsinnige Verbesserung seit 1977 für mich. Erstens war das kulturelle Spektrum viel weiter. Was ich 1977 geredet habe, haben die meisten nicht verstanden. Der redet wirr, haben sie gesagt. Nach 1990 haben die Kollegen mich verstanden, da hat man miteinander reden können, über gleiche Themen. Man hat ähnlich Hintergründe gehabt. Das zweite war, es gab viel mehr Ausländer in Österreich. Das war eine große Erleichterung. Ich habe mich wirklich gefreut. Ich sitze in der U-bahn, eigentlich in der Stadtbahn und irgendwo bei der Währinger Straße wird mir bewußt in dem Waggon, wo ich sitze, reden sie mindestens fünf Sprachen, die ich alle nicht verstanden habe. Und ich habe mich so vertraut gefühlt, toll, klass, endlich. Das verstehen die meisten wahrscheinlich nicht, denn die meisten fürchten sich ja, weil sie verstehen ja nichts mehr. Aber das war so ein vertrautes in der Welt sein, ein Mehr an Möglichkeiten. Das Potential zur Veränderung liegt genau in diesen Menschen, die da ganz anders reden, von anderen Hintergründen herkommen und dann einen Raum finden, um etwas entwickeln zu können.
Das würde aber bedeuten, daß Mexico für dich schon Welt war.
Natürlich, Mexico war die Welt, das Bezugssystem. Dort habe ich gemerkt, daß der Rassismus zwar existiert ...
Auf was ich hinauswill, ist, die Sprachverlorenheit war dann also die Welt für dich. Weil wenn du sagst, du hast nichts verstanden ...
Ja, die Sprachverlorenheit und die Herausforderung von Anfang an Verstehenlernen zu müssen. Mein großes Dilemma bis 1977 war die hermetische Sprache. Die Leute haben geredet und alle haben gewußt, worum sie reden. Scheinbar. Die Worthülsen sind geflogen wie wahnsinnig. Deshalb war das auch die große Zeit der österreichischen Literatur, weil die haben was gehabt zum Arbeiten. Die haben dauernd aufbrechen können, von Handke bis zur Bachmann. Die Wiener Gruppe. Die haben diesen Sprachhermetismus, diese Monokultur, diese Inzucht aufgebrochen. Und wie ich dann zurückkam, in einen Raum kam, wo man wirklich nichts versteht, weil die Türkisch sprechen, muß man von Beginn an einen neuen Zugang gewinnen. Das stimmt natürlich nicht exakt, wie ich es jetzt erzähle, aber dieses Bild ist da für mich entstanden: Gott sei Dank, versteh ich nichts. Wir reden jetzt nicht über die gleichen Gemeinplätze: die Ausländer und wir. Man kann plötzlich über andere primäre Dinge reden. Wie fährt man in Wien von Punkt A zu Punkt B. Und wie macht man das. Welches Know-how haben diese Leute, die nicht meine Muttersprache sprechen, wenn sie einkaufen gehen. Die kaufen viel billiger. Die kaufen Sachen, die ich gar nicht kenne. Ich möchte auch das Billige kaufen und die Sachen essen, die die da essen.
[Die Tür geht auf, kurze Unterbrechung]
Also die grundlegende Erfahrung in Mexico war schon, wie komme ich zu Milch, wie komme ich zu Brot, wie check ich mir den Alltag. Was ist Mexico für dich, es war also auch diese Alltagserfahrung.
Ein schönes Beispiel. In Österreich war das für mich kein Problem, da habe ich gewußt, in welchem Packerl die Milch ist, daß die Semmeln die Kaisersemmeln sind, wenn sie in der Mitte diesen Stern tragen. Und wenn sie diesen Schlitz haben, hat mein Opa dazu nur Arschlingssemmeln gesagt, weil sie wie ein Hintern ausschaun, diese Langsemmeln. Und dann kommst du nach Mexico und da gibt’s X Semmeln und da gibt’s Leute, die kennen die alle beim Namen. Die wissen, wie die heißen und benennen sie. Das ist das verblüffende für mich gewesen, daß es in einer großen Stadt, in einer Metropole, extrem dörfliche Strukturen geben kann, mit einer Bäckerei im Stadtviertel, die so klein ist, wie die in Strobl. Da kommen die Leute hin, von der colonia de education und alle kennen sich. Oder die Müllabfuhr, die fährt um sieben Uhr durch die Straße und läutet mit der Glocke, dann rennen die Frauen in ihren Lockewicklern auf die Straße mit ihren Müllsackerln. Dieser Müllwagen bleibt an allen Straßenecken stehen und die Bewohner der Häuser dieser Gegenden kommen hin und reden miteinander. Das ist wie der Dorfplatz, nur der Vorwand dort ist die Müllabfuhr. Und das sind Lebenswelten, die unheimlich dörflich sind, die es in Wien nicht gibt. In Wien kennt sich kein Mensch.
Nicht mehr.
Ja, nicht mehr. In Mexico war es für mich einfacher. Die Leute reden dich an. Wenn du in der Früh mit dem Müllsackerl dort hinauskommst, reden dich alle an. Und plötzlich lernst du Leute kennen und wirst eingeladen. Bei der Bäckerei das gleiche: Das ist der komische Österreicher. Und da muß man halt viel lernen. Da muß man den Leuten auf‘s Maul schaun. Wie reden die, wie heißen sie, was meinen und sagen sie. Diese scheinbare Höflichkeit: su casa, wenn man eingeladen wird. Das ist ja nicht mein Haus. Nein, das ist Ausdruck von: Mein Heim ist ihr Heim und solche Dinge. Und da muß man erkennen, daß das alles nur eine scheinbare Freundlichkeit ist, aber doch eine Offenheit und gleichzeitig nur eine scheinbare Offenheit. Man lernt auf‘s Neue soziales Verhalten.
Und hast du dich eher als Emigrant gefühlt oder als Student, der nach einem halben Jahr wieder zurückgeht, als Exilant, als Flüchtling? Was warst du da drüben für dich selbst am Anfang und wie hat sich das entwickelt?
Na ja, es ging mir oft auch nicht sehr gut in Mexico. Wenn du dann verlassen in der Stadt stehst und du hast keine Ahnung, wo der Bus hinfährt und es ist neun, zehn am Abend. Das sind schon Paniksituationen, wo man dann denkt, was mache ich hier. Das ist so schön hier in Wien, da gibt es eine Straßenbahnlinie und die kommt pünktlich. Und es lauert niemand mit dem Messer hinterm Busch und solche Dinge. Es hat auch große Konflikte gegeben, wo ich dachte: Ich lasse es und fahr nach Österreich zurück und bin wieder in einem gesicherten System.
Aber eigentlich habe ich mich als Entdecker gefühlt. Das ist ein ganz klassisches Gefühl von Ausländern, wenn sie nach Mexico kommen. Man fühlt sich so als Abenteurer und Entdecker. Und ich vermute, aus meinen Zeitzeugeninterviews mit Emigranten und Exilanten, das war das Besondere an Mexico: viele konnten sich als Entdecker fühlen, und haben nach den ersten drei Tagen vergessen, daß sie Exilanten sind, außer man hat es bewußt inszeniert in den politischen Vereinigungen. Man wollte ja nicht glücklich sein, das hat man sich verboten. Aber wenn man diese Beschreibungen hört, man kommt dort an und fährt mit dem Autobus und dem Zug nach Vera Cruz durch Mexico, die haben Karl May gesehen, da liefen ja Filme ab. Die Pyramiden, die Leute und die Indianer. Mexico war damals ja noch viel folkloristischer als heute. Und mir ging es nicht unähnlich. Ich habe eine Großstadt, Exotik, Sprache und Kolibris entdeckt, und ich weiß nicht was noch alles. Und das war so viel attraktiver, der weiße Mann wird Entdecker, als das Heimweh und diese Momente des: Jetzt weiß ich nicht, wie es weitergeht.
Würdest du sagen, daß unter diesem Entdecken was anderes gelegen ist.
Natürlich. Es war Flucht vor Österreich. Ich sage das auch immer wieder meiner Familie. Gott sei Dank, bin ich weg. Es war Flucht. Vor der Uni, vor der Schule. Das Gymnasium war ja ein Horror, das Verhindern von Lernen im Waldviertel. Und die Universität war ja nur zum Teil ein Raum des Gesprächs. Es war vor allem ein Raum der Macht, der Professoren. Noch ein Schlüsselerlebnis. Erstes Semester, ich irre zwei Wochen durch Wien, gehe die Mariahilfer Straße hinunter, gehe ins Renz Kino, nicht Filme schaun, sondern Berner Würstel essen und ein Bier trinken und überlege mir, was soll ich studieren. Ich habe zwar gewußt, daß Sprache in Frage kommt. Ich habe dann im ersten Semester alles Mögliche inskribiert. Ich habe Philosophie inskribiert. Und ich war so deppert, daß ich mir die Auskunft von den Vorständen geholt habe. Da gab es zwei philosophische Institute damals. Das war der Christian der Logiker und der Heintel. Und ich habe nicht hinterfragt, warum es zwei Institute gibt. Und die wurden eben gegründet für den Faschisten und den Rückkehrer. Der Christian war der Faschist und der Heintel war der katholische Christlichsoziale im KZ. Und die haben dann mit mir geredet und ich habe gedacht: Fürchterlich, die Philosophie ist nicht vorhanden an der Uni Wien. Ich habe dann Psychologie studiert, zwei Semester. Ich habe gedacht: Na fürchterlich, Sigmund Freud war ein Unbekannter, den hat es nicht gegeben in Wien, nur in der Negation und im Sich-lustig-Machen über ihn. Und weil ich eben heimatlos war durch meine Eltern und ich die Sprache als meinen Heimatraum versucht habe zu konstruieren, bin ich bei Germanistik und Geographie hängen geblieben. Und jetzt zurück zum Bild der Professoren: Geographie, erstes Semester, Inskription physische Geographie, Übungen und Vorlesungen und da stand persönliche Anmeldung Dr. Fink. Und ich gehe dann im fünften Stock durch das geographische Institut und sehe dann an der Tür groß Professor Dr. Julius Fink. Und denke mir, ah anmelden. Ich denke mir Sprechstunde, heute, klopfe an, keine Antwort. Ich mach die Tür auf und sehe, oh Wunder, eine zweite Tür, gepolstert. Mach ich auf, geh rein. Stottere: Ich möchte mich anmelden. Großer Raum mit Fauteuils und so, großer Tisch, dahinter großer dicker Professor und schreit mich an: Sie Idiot sie! Gehen sie hinaus und klopfen sie noch mal an, haben sie kein Benehmen. Ich gehe hinaus. Ich sehe Polster, wo klopft man da. Ich sehe Tasche, Münze. Mit Münze auf Türschnalle: Tak, Tak, Tak, Tak. Das ist wie Nestroy. Kabarett ist das. Ich geh rein. Und dann sagt er: Was wollen sie eigentlich, wissen sie nicht, daß die Anmeldungen beim anderen Fink sind. Da gab es zwei Finken. Den Professor Doktor Julius Fink und den nur Doktor, was weiß ich Fink. Und das andere war der Assistent und hat die Übungen gemacht. Und er war der Professor. Ich bin dann draußen gestanden und habe zwei Wochen gebraucht, das zu verarbeiten. Ich habe gedacht, zitter, schlotter, nie wieder bei Professoren anklopfen. Schnitt. Mexico. Zimmer. Professor. Ich komme rein, der ist fast in meinem Alter. Ja, servus, grüß dich, hurra. Partnerschaftlich. Professoren werden gewählt. Und sie werden gewählt von ihren Assistenten. Und die setzen sich zusammen wochenlang und machen Intrigen miteinander und du bist es für die nächsten zwei Jahr. Und dann sind sie bitter enttäuscht, weil der, der gewählt wurde, nicht das macht, was sie vorher ausgehandelt haben. Aber okay, es sind zwei Jahre und dann ist wieder ein neuer dran oder der gleiche. Das war eine Erleichterung. Das war eine Psychotherapie in Mexico. Dieses ganze verzopfte, verstaubte, verdammte österreichische System, in den Amtsräumen. Bis heute kann ich das Wort Ministerialrat nicht aussprechen. Ich habe ein Sprachproblem, weil mir dieses ganze System im Magen liegt, Sektionschefs. Und ich arbeite im Bund. Das ist der Treppenwitz der Geschichte, daß ich jetzt auch Oberrat geworden bin. Aber das ist die Rache des Systems.
Und mit der Rache des Systems hören wir für heute auf.
eingestellt am: 2.5.2020 | zuletzt aktualisiert: 2.5.2020
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