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Raimund Bahr fragt | Armin Andesr antwortet | 2002 | Wien
Im Rahmen des Projektes Zeitzeug/inn/enhorizonte
Raimund Bahr
Was bedeutet Theater für dich?
Armin Anders
Das ist schwer, gleich am Anfang.
Was bedeuten Frauen für dich?
Das ist doch einmal eine Frage.
Offensichtlich auch nicht leicht zu beantworten.
Kunst und Frauen. Ich kann ohne beide nicht leben, aber mit den beiden ist es gleichzeitig unmöglich. Ich empfinde das als wirkliches Unglück. Bei den Frauen hat es damit zu tun, daß ich nie wirklich wußte, wie sie sich zu mir verhalten, wie sie mich empfinden. Während man zu Männern ein mehr oder weniger trockenes Verhältnis erarbeiten, entwickeln oder auch einrichten kann, womit das nun auch immer zu tun hat, das wäre eine eigene Diskussion; aber dort, wo ein Begehren und eine Begierde stattfindet, ist es ein konfliktuelles Verhältnis und meine Erfahrung ist, daß es aneinander vorbeigeht - dieses Begehren und diese Begierde. Wo Mann und Frau einander brauchen, manchmal mißbrauchen, als Mensch und Freund - etwas wonach ich mich immer sehne -, da läßt sich im Begehren und in der Begierde nichts realisieren. Es ist immer das eine oder das andere. Entweder ist es eine Beziehung, als Mensch und Freund, oder es ist ein Verhältnis, es ist Erotik und Begehren, dann ist es voller schmerzlicher, eklatanter und nicht aufzuösender, durch Nichts aufzulösender Widersprüche.
Glaubst du, daß das eine anthropologische Konstante ist oder das in deinem Leben ein Problem ist.
Einerseits bin ich total subjektiv. Ich denke, daß hat mit meiner unseligen Existenz als kranker Körper zu tun, als dem ich mich jung empfunden habe, empfinden mußte. Wenn ich mich an was erinnere, dann daran, daß ich immer krank war, zumindest so ab zwölf, dreizehn. In diesem Sinne ist es für mich schwer, die für eine Beziehung notwendige Bestimmtheit über den Körper zu materialisieren bzw. zu kommunizieren. Sicherlichkönnte man das aber im Geschlechterverhältnis, das vor allem zuerst ein Körperverhältnis ist, anthropologisch betrachten. Die Begegnung der Körper, der Verstoß gegen seine Grenzen, der Anstoß an seiner Haut, trägt immer schon den Keim des Konflikts und der Gewalt ins sich. Also einerseits hat das schon und unbedingt mit mir zu tun, aber andererseits hat das auch mit einer kulturellen Begegnung von Mann-Frau-Körpern zu tun, die das, was sie brauchen, gleichzeitig unmöglich machen. Und bei all dem Gefasel sollte man natürlich nicht die sozio-ökonomische Seite des Problems außer Acht lassen. Die Probleme von Geschichte, Kultur und Religion, also die gesellschaftlichen und sozialen Machtverhältnisse. Nebenbei erwähnt, glaube ich, daß unsere Generation, im Schatten der feministischen Nachkriegsbewegung eine besondere Sozialisation erfahren hat, die zum Problem beiträgt, nämlich: immer im Auge zu haben, was die Frau will und ich als Mann daher soll und muß, gleichzeitig abervon Frauen gesagt zu bekommen, sie brauchen einen Mann, der will und der kann - und alles zusammen und sofort.
Glaubst du, daß sich in deinem Verhältnis zu Frauen etwas verändert hat. Wie war denn das am Anfang. Ich meine bei der ersten Frau wirst du keine existentielle Frage gestellt haben, sondern das wird eher sehr direkt gewesen sein, der Gebrauch der Sexualität. Hat sich da was verändert im Laufe der Jahre oder von Frau zu Frau?
Sicherlich. Der Abgrund ist noch größer geworden zwischen einer praktizierten Sexualität mit Frauen und den partnerschaftlichen Freundschaften, so will ich sie einmal nennen. Meine fantasierte und praktizierte Sexualität hat meistens nichts mit meinen Freundinnen zu tun, mit denen ich mich umgebe. Also meine erfüllte Sexualität existiert abseits, in anderen Bereichen, in sogennanten gesellschaftlichen Grauzonen. Im modernsten Sinne eine Ausdifferenzierung sozusagen. Man könnte es auch ironisch betrachten: ich belästige die Frauen in meiner Umgebung nicht mit meinen Begierden, außer in sehr artikuliert humoristischer Weise, in der ich mich auch gleich selbst mitironisiere. Die tatsächlichen sexuellen Verhältnisse passieren abseits.
Aber du hast ohnehin immer Probleme damit andere Leute zu belästigen.
Immer.
Woher kommt das?
Einerseits denke ich, daß das was ich mache einen gewissen Wert hat und ich will das auch zeigen. Ich will auch, daß es auch öffentlich ist und ich will, daß es bemerkt wird und andererseits habe ich eine irre Scheu, die eine groteske Abschottung mit sich bringt, sodaß ich mich kaum äußere über mich, meine Erfahrungen und Emotionen in den eigenen Beziehungen. Es gibt ganz wenige Momente, meist bin ich dann schon mitten in einer gröberen Krise, wo ich dann sage, daß ist „unangenehm“, so ungefähr. Ich äußere mich niemals über meine emotionalen, oder sagen wir besser, inneren Befindlichkeiten. Wenn es mir um etwas geht, in all dem, was ich sage, auch über mich, und tue, in der Kunst, in der Literatur, dann geht es um Befunde: um das zu erfassen, dass zu denken, was heute ist, was ich bzw. wir in der unerträglichen Gegenwart sind. Erst kürzlich habe ich eine Diskussion gehabt, ich weiß nicht mehr mit wem, über meine emotionalen Verhältnisse zu Menschen. Es kam die Kritik, ich sei kalt. Ich denke mir, das ist nicht falsch, wenn man mich in meiner Äußerlichkeit anschaut.
Kalt?
Ja, schon. Ich denke, daß das auch ein gewichtiges Problem ist - neben meinem Körpergewicht -, das Frauen mit mir haben. Ich bin zwar schon ein sehr sehnsüchtiger, manchmal auch wütender, Mensch im Begehren, aber in der Beziehung zu Menschen bin ich eigentlich ziemlich trocken, um nicht zu sagen „kalt“. Das ist also nicht falsch. Jetzt könnte man das analytisch betrachten und sagen, daß das mit purer Angst zu tun hat, und auch das ist im Wesentlichen nicht so falsch. Mit wirklich wenigen Ausnahmen nur bin ich bisher in meinem Leben von den Menschen, die mir nahe waren, verletzt worden. Da kommt mir ein Satz von Frank Zappa ins Ohr, der einmal gesagt hat: „Ich denke, jeder ist ein Arschloch, bis er mir das Gegenteil beweist“. Ich fand das sehr sarkastisch damals und unerträglich, aber auch das ist nicht falsch.
Du bist also Menschen gegenüber zu erst einmal reserviert, bis sie dir das Gegenteil beweisen.
Das sagt andere von mir. Das ist die Außenbeobachtung. Na ja, ich bin immer freundlich, die meiste Zeit, bis mir jemand dumm kommt, dann bin ich nicht mehr freundlich, aber das ist selten, weniger als selten. Aber das wird ja dann schon wieder ausgelegt als irre Anmaßung anderen Menschen gegenüber.
Das du freundlich bist?
Nein, daß ich dann so sicher und gelassen agiere und mich nicht einbringe in die Kommunikation oder gewisse Menschen nicht wirklich begegne oder alles abblocke und auf small talk reduziere, was ich gut kann.
Du kennst aber auch viele Leute. Und man kann nicht mit allen Menschen tiefgehende Diskussionen haben. Die Massenkultur macht das auch nicht möglich.
Das denke ich auch, aber es stimmt schon, es gibt ganz wenige Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme, was jetzt meine emotionalen Verhältnisse betrifft. Über meine Kunst, über die denkerischen Elemente der Welt kann ich monatelang referieren ohne das ich wirklich auf andere höre. Aber über mich etwas zu sagen, das geht nicht. Aber das bräuchte es andererseits, weil es wird erwartet, das man sich einbringt, sonst gilt das als Anmaßung; man muß sich einbringen; es wird allseits erwartet, daß man sich nicht äußert. Ich glaube, da kommen zwei Sachen zusammen, einerseits meine Scheu und andererseits daß wir uns total inmitten einer Entäußerungskultur befinden. Auch die Beichte war für mich immer schon so ein Moment des Elends. Ich empfinde, daß unsere gesamte Kultur eine moderne (säkularisierte) Beichtgesellschaft geworden. Früher war es, um sich vor Gott zu reinigen und im Namen Gottes - vor den Autoritäten der Kirche, den Priestern - und jetzt ist es halt so, daß wenn man in die Öffentlichkeit kommt, z.B.: via Television, daß da eine Art Segnung stattfindet über das Medium. Das TV-Gerät als Medium der Absolution und Transzendenz. Und in der öden Wirklichkeit bleibt alles das gleiche Elend. Nichts ändert sich.
Und dein Verhältnis zur Kirche, nicht zur Religion?
Ich denke nach wie vor, daß die karitativen Menschen, die sich einfach sammeln, in diesem Bereich und das muß man auch sagen, daß die Religion, weil sie den Menschen Trost gibt und einen Rahmen gibt, ermöglicht, darin zu arbeiten - in der Hospizbewegung, in der Caritasbewegung, beim Rot-Kreuz usw. -, daß das schon ein wesentlicher Kern von christlicher Religion ist. Die praktizierte Nächstenliebe halte ich nach wie vor für einen Kern menschlichen Zusammenlebens. Die Kirche als politisches Element ist und bleibt eine der verbrecherischten Organisationen der Geschichte.
Du warst ja Ministrant. Damals wirst du ja das nicht so realisiert haben.
Die Konsequenz der Ministrantenexistenz war die konkrete Erfahrung des Todes Gottes. Ich bin da durchgegangen und ich wollte ihm begegnen, ernstlich und kindlich. Das war so eine unbewußte Sehnsucht und eine Wille, ich gehe jetzt in die Gotteshäuser und ich diene, denn der Ministrant ist der Diener Gottes, aber ich diene und diene und es kommt nichts. Ich meine, alles was du tatsächlich erfährst, ist eine Pfarrer, der Schulkinder schlägt oder die Menschen insgesamt bevormundet und mies behandelt. Was du mitbekommst ist, daß die Kirche ein Antlitz hat, jetzt könnte man sagen ein menschliches Antlitz wie alle Institutionen, aber eben ein entsetzliches, weil man ja - anfangs zumindestens - tatsächlich glaubt, daß das die Welt des Guten ist oder der Bereich der moralischen Haltung. Wenn du in den Innereien arbeitest, z.B. mit dem Mesner zusammen, der die meiste Zeit alkoholisiert ist, kriegst du mit, daß das ein vollkommen versumpftes und leeres System und hohles Gebäude ist. Ich kenne einige ganz wenige, die bis ins erwachsenen Alter, Ministranten geblieben sind, die meisten sind geflüchtet. Prinzipiell kann man ja bleiben. Man macht dann als Senior - ausgestattet mit falscher Autorität und entsprechendem Imponiergehabe - die großen kirchlichen Feste (Ostern u.a.) und die Veranstaltungen, wo auch am meisten Geld abbleibt. Andererseits, und da kommen wir zum Theater, ich halte die Messe nach wie vor für eines der gewaltigsten theatralen Ereignisse in unserer Kultur, die katholische Liturgie ist und bleibt beindruckend. Man kann - mehr oder weniger - das europäische Drama seit dem Mittelalter als Messe lesen, mit und in all seinen Formen. Und das ist bis ins Zwanzigste Jahrhundert so geblieben.
Wenn du dein Elternhaus beschreiben müßtest, nicht deine Eltern oder die Menschen darin, sondern das Haus selbst.
Das Unglück glaube ich, ich spreche jetzt sehr viel vom Unglück, ich weiß, aber ich meine das nicht so, das wär ein eigenes Gespräch. Das Unglück, glaube ich, war, daß die Eltern auf das Haus der Eltern draufgebaut haben. Der Vater war Kleingewerbetreibender (Schneidermeister), der Sohn, mein Vater, war bei seinem Vater Geselle und dann Meister und hat dann den Vater sozusagen in die Pension gedrängt - wie das halt so ist -, obwohl der im Haus gewohnt hat und gleichzeitig noch jeden Tag sozusagen im Betrieb war. Da war ich dann sechs, sieben Jahre alt, da kam dann auch die Ablösung von der Großmutter, wo wir zuvor gewohnt haben, wo meine Großmutter mich als kleines Kind immer mit dem Fernsehen beruhigte (auch wenn kein Programm war). Wir zogen um ins/aufs Haus des Großvaters mit all seinen Krisen und Konflikten, mit der ablösenden älteren Generation, die trotzdem immer noch überall etwas zu sagen hat, und sich einmischte, auch mit einem gewissen Erbe des totalitaristischen Naziautoritarismus. Das hat man beim Großvater bemerkt, mit diesem alles bestimmen wollenden Partriachalismus. Er hat immer gesagt, daß sei noch sein Haus, es war sein Grund und Boden, und das war der Grund vieler entsetzlicher Auseinandersetzungen meiner Eltern mit der Elterngeneration. Es war zwar alles konsequent, wenn ich es heute bedenke, ich begreife das, was er verzweifelt versucht hat, zu halten. Aber es war halt ein Elend, weil mein Vater konnte sich nie aus diesem familiär-mörderischen Kreis befreien. Und ist auch dann unglücklich geworden, weil das Geschäft zugrunde gegangen ist. Zwar erst nach dem Tod des Vaters, aber es war ein ziemlicher Existenzbruch, daß er in dem scheitert, was sein Vater aufgebaut hat - obwohl ich denke, dass das mein Vater bis heute ganz anders behaupten würde, aber wir haben niemals darüber gesprochen. Vater ist Versicherungsangestellter geworden. Wir [Kinder] sind später alle nach Wien gezogen. Ich glaube, die Naturwüchsigkeit von Gesellschaft, in der ich da - zufälligerweise - hineingeboren wurde, ist, abgesehen davon, daß wir von Bauern umgeben waren und daß das eine bäuerliche Kultur war, da könnte man viel darüber erzählen, und daß ich da all die Banalität des Grausamen, nicht des Bösen, täglich gesehen habe - ob da Schweine geschlachtet wurden oder Hühner, oder was auch immer -, die Naturwüchsigkeit von Mensch und Gesellschaft erschreckt mich noch heute, wenn ich zu Besuch bin. Diese Naturwüchsigkeit, die stete Wiederkehr des Immergleichen und Genügsamen, die Gesellschaft als Reproduktionsmaschine des Elends und der Misere, war das Unglück unserer Familie und ich glaub auch, daß es das Unglück unserer Kultur ist.
Was ist dein Verhältnis zur Natur? Wie hast du Natur erlebt in deiner Kindheit?
In der Kindheit hatt die Natur immer etwas Beruhigendes, wenn ich mich erinnere, denn sie war immer da und immer still und störte nicht. Das hat sicher damit zu tun, man war abseits der Eltern, man war Abseits der Beaufsichtigung, man war Abseits aller Bevormundung. Man ist auf den Fußballplatz gegangen oder nicht, weil da haben „die Großen“ Fußball gespielt. Dann ist man halt auf den Nebenschauplatz gegangen, die Gstetten, davon hat es mehrere gegeben. Die Natur war Freiheit. Von der Stadt aus waren die meisten brauchbaren Orte in zehn Minuten zu erreichen. Das waren echte Freiräume - abseits der Autorität, ob jetzt Eltern oder Schule oder was auch immer. Und so ist für ein Kind die Welt draußen - die noch kaum vom Innen unterschieden wird - ein Spielplatz mehr oder weniger. Die Straße war es nicht, „vor der Straße mußte man sich fürchten“; ich hatte als Kind auch einmal einen Unfall. Ein Auto stieß mich nieder, an das kann ich mich genau erinnern, da war ich etwa acht Jahre alt - die Schuld wurde dabei übrigens alleine mir gegeben. Die Natur war also der Freiraum, aber wenn man erwachsener wird, da ist man auch schon bald satt an der Natur. Mit achtzehn habe ich das dann nicht mehr gebraucht. Da überkommt einen dann die Natur des Begehrens. Ein anderes, ein nächstes Unglück.
Die Frau als Ressource?
Die Frauen sind die Naturalien, mit denen man es dann zu tun hat, aber die sind ja schon bald auch nicht mehr der Freiraum, den man sich naiv ersehnt hat und von den man noch eine geraume Zeitspanne träumt, bevor auch diese Romantik den Weg allen Irdischen geht.
Und was bedeutet Familie für dich?
Vorne weg gesagt, wie könnte es anders sein: einmal ein Unglück, weil das alles mit der Natur und der Naturwüchsigkeit zu tun hat. Und was ich nach wie vor als das Unglück betrachte ist diese Naturwüchsigkeit und ihre Fortsetzung in den Menschen hinein und in die menschliche Kultur. Obwohl das Denken eigentlich wieder die Natur ist, weil das gibt es nicht in der Natur, was uns wieder die Natur setzt, ich meine nicht über, das wäre ein Mißverständnis, aber es setzt uns gegen die Natur. Wir sind außen, vor - oder hinter - der Natur. Das bestimmt das Denken in der abendländischen Geschichte, also können wir das nicht so romantisieren, als wären wir Innen. Es gibt kein zurück. Wir sind außen. Wir wissen, daß wir sterben und das ist letztlich auch der Bruch, die Differenz. Im Wesentlichen ist es das. Dieses zyklische Element, das im Bauerntum noch das (versöhnende) Naturalistisches hat: gezeugt werden, geboren werden, kommen, gehen, sterben und Tod. Da gibt es keine Brüche, das ist eine zyklische Welterfahrung und ich denke, das wirkt bis in unsere Zeit nach, das stirbt mit dem Erwachsenwerden. Aus dem Dilemma komme ich, das ist mein Traumata. Wenn man eine menschlichere Welt will, muß man das Verlassen, woher man kommt,dann muß man anders werden, anders denken, ein Anderer werden. Heimat ist nur eine Ausrede für Bequeme und Faule.
Das ist aber, glaube ich, keine Antwort, was du für ein Verhältnis zu deiner vergangenen Familie und zukünftige Familie hast.
Keines. Mein Weg nach Wien (und in die Kunst) war sicher erstmal eine Flucht aus der Umklammerung der Familie, sowohl denkerisch als auch geographisch. Zuerst geographisch und dann nach und nach denkerisch. Es geht mir aber nicht um den Begriff Familie. Mutter, Vater und Kind -, das kann ich mir schon vorstellen, obwohl es das nicht geben wird, so wie es ausschaut in meinem Leben.
Hättest du eine Sehnsucht danach?
Da ich, wie ich kurz skizziert habe, so aufgewachsen bin, und für mich das gar keine Problematik ist, damit umzugehen, so wie es - grotesk gesagt -, auch kein Problem ist, Tiere zu töten und zu essen, ist es auch kein Problem, ein Kind zu zeugen, zu versorgen und aufzuziehen. Das hat so etwas von Fortsetzung und Gewißheit, aber je älter ich werde, desto allergischer bin ich. Das Wesentliche ist, das zu erkennen, anzunehmen und konsequent zu sein, den begonnenen Weg weiterzugehen, nicht aus Sturheit, sondern mit immer größerer Gelassenheit. Es geht auch nicht darum, daß das der bessere Weg ist. Das glaube ich gar nicht. Ich spreche auch immer von meinem Unglück. Ich glaube nicht, daß ich das deshalb als Modell eines glücklichen Weges bezeichnen würde. Aber ich denke mir, das sind Bruchlinien, mit denen man sehr bewußt umgehen kann und muß, weil sie aus menschlichen Entschlüssen und Handlungen kommen, die wir verantworten müssen - auch wenn sie manchmal von außen kommen. Oft sind diese nicht wirklich entschlüsselbar, nicht nachvollziehbar; wir wissen nicht, warum das so kommt und das andere nicht. Aber man nimmt es an. Familie meint Fortsetzung: mit all diesen Bedingtheiten und Abhängigkeiten, daß man nie aus diesen Kreisen der mörderischen Tödlichkeiten rauskommt. Also diese immer wiederkehrenden, auch in meinem Umkreis sich abspielenden, ganz banalen Geschichten: Die Mutter kriegt mit achtzehn die Tochter und ist unglücklich, heiratet trotzdem, will dass es die Tocher einmal gut hat, läßt ihr alle Liebe zukommen und Vernunft - und dann bekommt die Tochter mit achtzehn auch ein Kind und heiratet wieder den Vater des Kindes, von dem sie sich dann wenigstens - die Zeiten ändern sich - nach 3 Jahren scheiden läßt, er aber bis heute keine Alimente bezahlt - nun kümmert sich die Oma um beide Kinder. Das ist für mich Familie. Da wird alles der Familie als naturaler und moralischer Kern unterworfen. Familie als zyklisches Moment von Geschichte und Gesellschaft, das trotzallem Bestand hat. Es gab aber ja einmal so eine geistige Bewegung der Bourgeoisie, den Humanismus, der den freien und aufgeklärten Menschen entwirft, das Individuum - die Liebe ist so seine Erfüllung in dieser Weltanschauung, in dem „man“ sich frei auf „frau“ wirft und entwirft, um letztlich im Gefängnis Ehe, der Keimzelle der bürgerlichen Familie zu enden. Das ist meine Erfahrung, man muß sich sein Leben lang aus diesem Müll und Mist schälen.
Also wenn deine Familie ein Gefängnis war, wenn du das so sagst, wie war dein Verhältnis zum Gefängniswärter Vater und zur Gefängniswärterin Mutter? Wie unterscheiden sich diese Verhältnisse?
Na ja, der Vater war kein Gefängniswärter. Der war eher ein Mitinsasse. Er hatte möglicherweise ein geräumigere Zelle. Wir haben ja sehr kleine Zimmer gehabt, ich eines sogar zusammen mit meinem Bruder.
Wie unterscheidet sich dein Verhältnis zum Vater und zur Mutter. Es gibt ja immer so Biographien, wo es dann heißt: Ich habe einen Vaterkonflikt gehabt und dann wird die Biographie aus dem Vaterkonflikt erklärt. Bei dir ist es ja eher die Mutter, mit der du einen Konflikt hattest.
Da möchte man gleich die ganze Psychoanalyse umstürzen, apropos Ödipuskomplex und so. Ich würde heute nicht mehr sagen, daß ich einen Mutter-Konflikt hatte. Das wäre eine unzulässige Verkürzung. Natürlich hat man gegen alles, was Autorität ist, und die Mutter war die totalitaristische bis terroristische Autorität, natürlich hat man gegen all das, als Einziger in der Familie übrigens, aufbegehrt, weil man in einem unerhörten Widerspruch lebte, leben mußte. Und wenn dann, wie bei unserer Mutter damals, jemand allergisch reagiert auf Widerspruch, weil sie das gar nicht kennt - das kann man heute auch sehr gut nachzeichnen und begreifen -, dann wird einsichtig, warum sie damals darauf unangemessen allergisch und tödlich reagierte. Und dass man quasi unter die Räder einer Machtmaschine kommt, die man selbst gar nicht begreifen konnte. Da kann man also nicht sagen, ich hätte „einen Konflikt“ mit „ihr“ gehabt. Ich hatte eher einen inneres Zerwürfnis (und eine Verzweiflung) mit der Tatsache, daß das was um mich ist, nicht genügt, das ich nicht genüge. Da begann auch mein Schreiben. Das war - mehr oder weniger - ein eigene kleine Welt bauen, in der es ein etwas anderes Denken gibt, das ich mir damals natürlich mehr einbildete, als das es das wirklich gab. Es ging mir damals auch nicht so sehr um die eigene Emotion ... [Unterbrechung durch Handyleuten] ... Ich denke also heute nicht mehr, daß ich damals einen Konflikt mit der Mutter hatte. Damals waren das natürlich Exzesse an Krisen und Geschrei und Gezeter, und das hat natürlich auch mit meiner pubertären Krise und all dem inneren Chaos zu tun. Und dann kam - gottseisgedankt - die Literatur und die Kunst, als Überlebensmittel - primitiv gesagt. Dann kam dazu, daß man - ein bißchen älter geworden - quasi der Intellektuelle im Dorf war, was vorher der Narr war, ist dann halt im kleinbürgerlichen Kontext der Intellektuelle gewesen. Auch das kann man nicht als Unglück bezeichnen. Ich hatte ja dann so einen Status, wo man mich fragte: Machst du da bitte ein Text; oder ich wurde gebeten, eine Theateraufführung zu inszenieren. Ich habe dann auch gleich erstmalig ein Stück verfaßt, ein Kinderstück. Einerseits ist man alsoAußenseiter, weil alle denken, daß ist der Denker, so wie Günther Anders letztens in dem Gespräch sagte: der Avantgardist, was natürlich ein kompletter Unsinn und Irrsinn ist, wenn man ein Kind ist, aber andererseits ist es auch angenehm, man wird gefragt, man wird gebraucht. Aber um zur Mutter zurück zu kommen: Ich glaube das Unglück mit der Mutter war, daß sie nicht begriffen hat, daß es eine (innere) naturgemäße Krise mit mir selbst war: was ich bin, wer ich bin, wer ich werden möchte. Der ältere Bruder war (und ist) eher an der Mutter orientiert und der jüngere war einfach noch das Nesthäkchen und dazwischen kam eben ich - in aller äußeren Schärfe und inneren Unruhe. Und meine Mutter hat mit dem nicht umgehen können. Damals war ich ziemlich wütend und zornig und schlug um mich und in einer gewissen Weise war ich auch Opfer, aber das ist Geschichte und mich kümmert jetzt die Gegenwart.
Jenseits all des anderen, will man einfach geliebt werden.
Ich glaube, daß ist überhaupt ein Mißverständnis, da sich oft bemerke. Auch in der Schule hat sich das dann fortgesetzt. Ich habe da eine Schülerzeitung gemacht. Ich wurde als Umstürzler und Revolutionär empfunden. Was natürlich vollkommener Unsinn war. Ich war ein etwas zu dick geratenes kleines Kind, das nicht ausgekommen ist, mit den Verhältnissen. Und ich denke mir, grob gesagt, ist das heute immer noch so. Auch jetzt im Theater, man hört, wie ich so bin. Und ich denke, das ist doch alles lächerlich, weil man es als ungenügend empfindet, wie es ist. Und sicher jetzt denke ich, daß es nicht nur mit mir zu tun hat, im Gegensatz zu den Beziehungen zu Frauen, wo ich denke, daß es mit mir zu tun hat. Ich dweiß, das hat mit den politischen Verhältnissen udn sozioökonomischen Bedingungenzu tun, daß diese ungenügend und falsch sind. Inzwischen hat man das reflektiert und auf ein intellektuelleres Niveau gehoben, gestemmt sozusagen. Maru [seine Frau] hat mit einem ihrer Wiener Freunde über mich gesprochen und der meinte: meine Schwierigkeiten haben damit zu tun, daß ich aus der Provinz komme und daher nicht begreife, wie man in Wien - im urbanen Dschungel - auftritt, wie man agiert in wienerischen Verhältnissen, mit Charme und Gemeinheit, in Zimmerchen sitzend und schulterklopfend die Messer wetzend. Aber so einfach ist das auch wieder nicht. Da ist möglicherweise ein Primitivismus, auf hoher intellektueller Ebene, der sich aber nicht kommuniziert, weil er eben nicht kommunikabel ist. Das ist es schon wieder, dieses Verhältnis zum Menschen das Außen und Innen. Da kommen wir wieder zurück zu der Geschichte, wo ich als Kind einen Turm baue. Ich bin im Kindergarten und ich baue einen Turm und bin ganz mit dem Turm beschäftigt und finde das ganz großartig, übrigens auch die Kindergartentante, ein kreativer Kopf sozusagen, freut sie sich. Die anderen schmeißen primitiv mit Legosteinen herum oder sich auf den Kopf. Und ich baue systematisch und geordnet, ich weiß nicht ob er so groß war, einen Turm, das hat Form, ich durfte auch immer extra basteln, ich wurde von der Kindergartentante beauftragt, die liebt mich übrigens heute noch, schöne Sachen zu machen. Mit vier Jahren baut man sich so einen Turm. Na klar, Männer bauen einen Turm.
Ein Tunnel ist auch schwer zu bauen mit Legosteinen.
Also ich bau halt diesen Turm und dann kommt irgendwer und ich glaube, daß das sogar ein Freund von mir damals war, das zeigt auch sehr viel, das weiß ich auch nicht, ob ich das nicht nachträglich erfunden habe, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß das ein Freund war, mit dem ich immer zusammen gespielt habe, mit wenigen habe ich gespielt. Und der hat mir den Turm zerstört. Der weiß, das tut mir weh und der macht das auch. Und ich glaube, daß ist schon eine Metapher für meine ganze folgende Existenz. So weit so traurig.
Und damit hören wir für heute auf. Danke.
eingestellt am: 1.9.2020 | zuletzt aktualisiert: 1.9.2020
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