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Gedanke | Textfabrikant


Mit meiner ersten im Htmlcode geschriebenen webseite www.textfabrikant.at betrat ich vor Jahren ein neues Land. Ein Land, das jenseits der realen Welt existiert, eine Welt, die keine Materialität mehr im eigentlichen Sinne besitzt.

Ich nannte mich damals Textfabrikant, weil das der Begriff ist, der mich im Kern am besten charakterisiert, denn ich lebe mehr im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Manufacturen, als im 21. Jahrhundert, dem Jahrhundert der industriellen, kapitalistischen und globalisierten Produktionsprozesse.

Gedacht war, alles zu publizieren, was in Folge des Schreibprozesses entsteht. Nachrichten aus der Fabrik sozusagen, von der Produktionsstätte des Schriftstellers, vom Schreibtisch ins digitale Universum. Dem Autor sollten die Leser und Leserinnen über die Schulter schauen können. Täglich. Immerzu.

Damals war mir klar, dass ein derartiger Publikationsweg nicht ohne Kritik bleiben würde. Vorwürfe, die ich voraussah: fehlendes Korrektorat, fehlendes Lektorat, keine Literaturkritik. Kein Verlagsfilter, der auswählt, was publizierenswert ist und was nicht. Diese Einwände sind natürlich richtig, doch ich halte ihnen entgegen, dass mir die Zeit fehlt und zunehmend auch die Geduld und die Ökonomie, um darauf zu warten, dass jemand meine Texte publizieren wird, bis die Verlage und die Kritik auf mich reagieren, um dann meine Texte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Damals war meine Zeit gekommen. Es folgten zahlreiche Webexperimente und ich habe herausgefunden, dass viele Autoren und Autorinnen dem Hypertextuniversum reserviert gegenüberstehen, sich von seinen Möglichkeiten angezogen fühlen, sich aber gleichzeitig davor fürchten. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie die Charkatereigenschaften der jeweiligen Autorinnen und Autoren.

Ich selbst war nicht anders, denn wenn mir vor fünfzehn Jahren jemand prophezeit hätte, dass ich eines Tages mein Schreiben in den virtuellen Raum verlegen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt, denn ich bin nur mühselig und widerwillig in das technologische Zeitalter eingetreten. Ich bin ein Kind der analogen Welt, ein Kind der Aufklärung, ein Kind des Kollektivs, ein Kind der direkten, schonungslosen, alternativlosen Kommunikation. Das Telefon diente meinem Mitteilungsbedürfnis.

Günther Anders hat einmal sinngemäß gesagt, dass jeder technischen Inovation zahllose infrstrukturelle Maßnahmen folgen. Dem Telefon folgt der Anrufbeantworter. Dem Anrufbeantworter folgt der Computer. Dem Computer das Handy. Dem Handy das Smartphone. All diese Entwicklungen ermöglichten mir neue Schreiberfahrungen und machten mich vor Jahren zu einem literarischen Blogger. Danach folgten politische Blogs. Den politischen Blogs folgten selbstgestrickte Webseiten und irgendwann habe ich gelernt mit dem digitalen Universum zu leben, es für meine Textmanufactur zu nutzen.

Was ich heute, als einer der mit analogem Schreiben und Leben begonnen hat und nun am Ende seiner Schreibproduktion in der digitalen Welt angekommen ist, sagen kann: Das Hypertextuniversum hat meine Textfabrikation verändert. Das Hypertextuniversum hat aus mir gemacht, was ich schon in der analogen Welt gewesen bin, einen Textfabrikanten.

eingestellt am: 8.8.2017 | zuletzt aktualisiert: 4.1.2018
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