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Gedanke | Von der Unausweichlichkeit der Poesie


Ich bin auf der Suche nach Sätzen, die erklären, warum ich schreibe. Noch immer schreibe. Fündig bin ich bei Ingeborg Bachmann geworden. Ich stimme nicht allen Aussagen in den Frankfurter Vorlesungen aus dem Winter Neunzehnhundertneunundfünfzig zu. doch gibt es in diesen Vorlesungen Erkenntnisse die noch heute Gültigkeit besitzen.

Die Fragen, die sie stellt, sind auch meine Fragen. Und warum mein Schreiben so düster ist und sich nicht mit den hellen freudigen Dingen beschäftigt, hat mit dem zu tun, was Ingeborg Bachmann schreibt:

Poesie wie Brot? Dieses Brot müsste zwischen den Zähnen knirschen und den Hunger wiedererwecken, ehe es ihn stillt. Und diese Poesie wird scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht sein müssen, um an den Schlaf der Menschen rühren zu können. Wir schlafen, ja wir sind Schläfer aus Furcht uns und unsere Welt wahrnehmen zu müssen.

Auch mich hat das Gefühl beschlichen, dass wir alle schlafen, dass wir Schriftsteller schlafen. Wir sind aus lauter Mutlosigkeit in geistige Umnachtung gefallen. Nur noch auf den eigenen kleinen Vorteil bedacht. Auf eine kleine Publikation. Einen Roman bei einem Verlag unterbringen. Eigentlich schon ganz egal wo. solange es nur Fischer ist. Suhrkamp. Rowohlt. Piper oder wie sie alle heißen. Und die Kleingläubigen geben sich dann mit Residenz zufrieden. Und die Unentwegten gründen selbst Verlage. Das kann nicht der Sinn der Literatur sein. Und plötzlich blitzt bei Bachmann noch ein Zitat von Kafka auf:

Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Ja, dafür ist Literatur da. Das gefrorene Meer in uns aufzuschlagen und Schlafende aufzuwecken. Und wenn wir dann endlich wach sind, müssen wir uns auffordern, vom Zerstörten Ich zu sprechen. Von der Zerstörung, die sich breit macht in unserer Welt. Es geht nicht darum das Wenige, das noch heil ist, mit der Sprache zu zerschlagen, das wäre grausam, damit würden wir der Literatur ihres utopischen Gehalts berauben. Mit unseren schreiben sollten wir das, was auseinandergebrochen ist, als gebrochenes dokumentieren, denn nur so können wir unser Selbst in uns bewahren und dass Ich als unrettbar anerkennen.

Schreiben ist für einen Schriftsteller wie mich nötig. Eine Nötigung des Lebens wie Ingeborg Bachmann schreibt:

Becketts Ich verliert sich im Gemurmel und noch sein Gemurmel ist ihm verdächtig. Aber die Nötigung zu reden ist trotzdem da, das Resignieren unmöglich. Wenn es sich auch der Welt entzogen hat, weil es von ihr geschändet erniedrigt und aller Inhalte beraubt wurde – sich selber kann es sich nicht entziehen und in seiner Dürftigkeit und Bedürftigkeit ist es immer noch ein Held.

eingestellt am: 2.8.2017 | zuletzt aktualisiert: 2.8.2017
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