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Was für einen Musiker Sun Records war oder die Apple-Studios, für einen Opernsänger die Mailänder Scala und für einen Schauspieler vielleicht das Berliner Ensemble oder das Burgtheater, das ist für einen Schriftsteller der Suhrkamp-Verlag oder S. Fischer oder Rowohlt. Und wer dort nicht unterkommt, der muss die mittelere Liga wählen und wer dort nicht landen kann, was tut der dann? Bei einem Kleinverlag anklopfen und um eine Publikation betteln? Sich für eine Auflage von dreihundert Stück einem Verlagsvertrag unterwerfen, der ihn im Grunde entrechtet, so wie es damals Rilke und Kafka mit ihren Büchern tun mussten? Soll man seine Rechte verkaufen, für ein paar hundert Exemplare, die dann irgendwo in Privatwohnungen herumlungern, vergammeln und irgendwann weggeworfen werden? Da kann man ja gleich selbst einen Verlag gründen. Einen Selbstverlag, wie man in Autorenkreisen sagt. Selbstverlag. Ein Wort, dem der Geruch von Versagen und Möchtegernautorerei anhaftet.
Ich persönlich hasse diesen Begriff, weil er ja immer auf die Autoren abzielt, die dadurch mit übler Nachrede kämpfen müssen, wenn sie sich selbst verlegen. Wenige befragen den Zustand des Marktes, der Autoren in den Selbstverlag zwingt. Wenige befragen die herrschenden Verhältnisse in der Literarturbranche. Selbstverlag klingt ja ein wenig nach Selbstgenügsamkeit bei gleichzeitiger Selbsterhöhung. Ich bezeichne Selbstverlegerschaft als Selbstverteidigung. Verteidigung einer Idee, die in Verruf geraten ist, nämlich nicht für einen Markt zu schreiben, für eine Kritik, für einen Juror, einen Literaturpreis, sondern für die Zeit zu schreiben, in der man lebt, um über sich und den Schmerz, die Verzweiflung und Demütigung, die Zumutungen zu schreiben, wie einer, der an Bulemie erkrankt ist und alles loswerden will, was er zuvor in sich hineingefressen hat. Man schreibt und schreibt und schreibt und dann liegen die Texte schwer und fett vor einem auf dem Tisch und keiner will sie haben und so fühlt man sich selbst schwer und fett und dann will man sie auskotzen, sie den Lesern vor die Füße kotzen, weil man ansonsten droht an all dem Geschrieben zu ersticken.
Aber schlimmer noch als die Selbstverlagstätigkeit ist, denke ich, ihr verschwinden, denn es bedeutet, dass die Verlagslandschaft sich auszudünnen beginnt, weil selbst die Autoren der Mut verlassen hat, selbst sie glauben nicht mehr wirklich an die Möglichkeit, Leser zu finden, für das, was sie sich in verzweifelten Nächten und herbstlichen Tagen abgerungen haben. Hinter vorgehaltener Hand kann man sie tuscheln hören: Oh, ich suche einen Verlag, aber reich werde ich damit nicht werden. Wer liest denn heute noch Bücher, die mehr wollen, als zu zeigen, was ist, sondern zeigen, was sein könnte. Bücher voller Utopien und gesellschaftlichen Gegenentwürfen.
Und dann gibt es da noch dieses untrügliche Zeichen, dass der Literaturmarkt aus den Fugen geraten ist: die One-Hit-Wunder-Romane junger Frauen. An einem Tag ein Hit und bei der nächsten Buchmesse bereits vergessen. Selten gelingt ein zweiter Coup. Die Literaturkritik, der Markt ist voll von Debutromanen, im Grunde wiederholt sich in der Literaturbranche das Frank-Sinatra-Syndrom, einmal einen weggesteckt und schon wendet man sich der nächsten Möglichkeit zu. Und dann singt man, um sich selbst zu beruhigen: Thats life.
Ja, so ist das Leben. Und nimmt man das nicht hin, sondern gründet einen eigenen, kleinen Verlag, dann ist man ein Selbstverleger, ein Selbstverliebter, einer, der sich überschätzt. Mag sein, aber wenn sich der Markt in eine Geldmaschine verwandelt, dann ist das verlegen der eigenen Bücher, im eigenen Verlag, eben ein Akt des Widerstands, gegen einen Markt, der alles ignoriert, was er nicht durch die Brille von Agenten, Zwischenhändlern, freien Lektoren und Preisjurien hindurch sieht. Selbstverlegen ist Solidarität mit den eigenen Möglichkeiten und Bedürfnissen und wenn man dann auch noch andere verlegt, vielleicht auch ein wenig Solidarität mit anderen und deren Möglichkeiten und Bedürfnissen. Und wenn man wagt, als Autor, sich einem Selbstverleger anzuvertrauen und dort sein Heil sucht statt im Dschungel der Kleinverlagsbranche und auf den Markt verzichtet, an ihm vorbei lebt und arbeitet, dann hat man einen wichtigen Schritt getan, den Markt auszuhebeln. Suchen wir uns also Brotjobs und leben wir von dem, wovon alle leben müssen, von den Brotkrumen, die von den Torten der Reichen herunterfallen. Geben wir dem freien Literaturmarkt was er verdient: den Gnadenschuss.
Wenn wir also einem Autor begegnen, der sich selbst verlegt, dann sollten wir ihn nicht belächeln, sondern ihm gratulieren für sein ehrliches Bemühen seine Kunst sichtbar machen zu wollen, ihm gratulieren zu seinem Mut, seinem Optimismus, seinem Widerstandsgeist, für seinen Glauben an den eigenen Text, an die eigene Literatur, an die eigenen künstlerischen Möglichkeiten. Sagen wir nicht, er sei verzweifelt, sondern kaufen wir ihm einfach eines seiner Bücher ab, tragen wir es nach Hause, lesen wir es und geben wir ihm ein Feedback, vielleicht auch ein schmerzliches, aber ignorieren wir nicht seine Tapferkeit und sein ehrliches Bemühen sich in die Waagschale der Kritik zu werfen.
Wer ein Buch schreibt, es publiziert und wagt sich einem Leser auszuliefern, den Zwischenhandel ausschaltet, der beweist Mut, vielleicht den Mut der Verzweiflung, aber das war ja nie der schlechteste Grund, um mutig zu sein. Dieser Mut ist aber noch mehr als aufrechte Tapferkeit, es ist mehr als all jene Autoren behaupten können, die den langen und demütigenden Weg durch die Institutionen auf sich genommen haben, um am Ende als One-Hit-Wonder-Roman zu enden. Mit ein paar tausend verkauften Exemplaren in der Tasche und einem wohlig trügerischen Gefühl in der Seele, endlich ein Teil eines Marktes geworden zu sein, der Autoren nur benutzt und gebraucht um multimediale Konzerninteressen voranzutreiben.
20.240.402:0.849 Zum Archiv
Es ist anzuerkennen, dass das Glück der Eltern sich nicht wiederholen lässt. Wenn die Eltern auf dem Hauptweg hocken, bleibt dem Kind nur der Abweg, der Umweg, der Seitenweg und manchmal der schrecklichste aller Wege, der Rundweg. Das Kind misstraut dem Glück der Eltern, denn es will nicht den gleichen Weg gehen, in einer Zeit, in der dieser Weg kein gangbarer mehr ist. Es ist mit anderen Fragen beschäftigt und die letzte, die in ihm aufkeimt, seit Jahren, ist jene nach der unendlichen, immerwährenden, intakten, glücklichen, sich selbst genügenden Beziehung. Das Glück der Eltern ist zu perfekt, um es als echt anzuerkennen und sie tragen es mit Stolz vor sich her, was es dem Kind unmöglich macht, es als Lüge zu enttarnen.
Vielleicht liegt in dieser Begabung zur Beziehungsperfektion, in dieser symbiotischen Beziehungserfahrung der Eltern die Ursache der kindlichen Fremdheit gegenüber Menschen an sich. Zwischen Mutter und Vater kann kein anderer Mensch treten, auch nicht das Kind und so umkreist es das elterliche Universum wie ein Satellitenstaat das politische Zentrum einer Hegemonialmacht, einen wüsten unbewohnten Mond, einen aus der Fülle des Lebens sich immer wieder neu entfaltenden Planeten. Die Eltern sind so mit sich selbst und einander beschäftigt, mit dem Aufbau einer Familie in ihrem Vaterland, dem sie einen neuen Namen geben, in dem sich der Begriff des Reiches noch spiegelt, aber ohne jeden Glanz und jede Glorie.
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