20.240.225:1.750 Zum Archiv

Der Milchkaffe ist warm. Das Marmeladebrot ohne Rinde zurechtgemacht. Durch das Fenster fällt fahles Licht. Es wird ausgedünstet von den Straßenlaternen und den hellbeleuchteten Fenstern in der Fassade des gegenüberliegenden Hauses. Hier ist Platz. Am Küchentisch. Hier ist es möglich, am Leben teilzuhaben. Nicht dass es besonders viel zu sehen gäbe, aber gelegentlich ein Stück nacktes Fleisch, eine heftige Auseinandersetzung, einen flüchtigen Kuss. Meist ist es aber nur still und bilderlos. Draußen vor dem Fenster. Wenn im Herbst die Nebel durch die Straßen der Stadt ziehen und die Hände vor den Augen kaum zu sehen sind, dann sind die Tage leer. Dann ist etwas verloschen.


20.240.224:0.750 Zum Archiv

Wie gerne würde ich erzählen. Geschichten schreiben. Die Welt ausbuchstabieren. Mit A beginnen. A wie Anfang. Als hätten wir noch eine Wahl und könnten von vorne beginnen. Alles hinter uns lassen und wie unschuldige Kinder drauflosschreiben. Doch selbst dieses unbefangene Schreiben bedarf einer einzigen Sache. Es bedarf der Müßigganges wie es einst Hermann Hesse formulierte. Die Kunst des Müßigganges. Wobei Müßiggang ja nicht mit Faulheit verwechselt werden sollte, denn Faulheit ist bösartig gemeint und unterstellt den Menschen, dass sie nicht willig wären zu arbeiten. Doch Müßiggang ist ja Teil des Arbeitsprozesses eines Schreibers, eines Schriftstelleres, vor allem der Dichter. Wir müssen müßig gehen, spazieren gehen, flanieren, durch die Welt treiben, sie beobachten, Geschichten einsammeln und sie nach Hause tragen, wo wir aus den Früchten unseres Gehens Säfte zubereiten. Süße, wohlschmeckende, manchmal aber auch saure, bittere Pillen aus ihnen herstellen, die wir dann verkaufen, wie eine Medizin gegen die Zumutungen, die die Welt für uns bereit hält.


20.240.222:0.840 Zum Archiv

Günther Anders hat einmal geschrieben, dass die Welt nicht für uns da sei, nicht für uns gemacht. Und durch dieses Nicht-Dasein wird uns einiges zugemutet: der Kapitalismus, die Monogamie, der Pluralismus, der Konsumzwang, die Heimattreue und der Nationalismus, dem der Rassismus eingeschrieben ist. Und was wir nicht vergessen dürfen, die Digitalisierung und die damit einhergehende Asozialisierung der Welt.

Und über jede dieser einzelnen Zumutungen könnte man ein Buch schreiben. Nur leider können Bücher diese Zumutungen nicht beseitigen, denn nur das Tun verwandelt die Welt. Doch wenn wir das Tun gedanklich und damit sprachlich nicht schreibend vorwegnehmen, wie sollen wir dann eine Zukunft schaffen, in der ein Dasein sich auch durch das Dasein verwirklicht.


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