20.221.231:0.729 Zum Archiv

Ich möchte einen Roman schreiben. Ich muss einen Roman schreiben. Ich habe ein großes Verlagen danach. Beinahe würde ich sagen, eine Sehnsucht. Ein Begehren nach einer Geschichte, die mich rettet und durch die kommenden Tage tragen soll. Eine, wie sie Hermann Hesse einst schrieb, als er mit den Glasperlen spielte, worin er geistige Zuflucht fand, damals in der Schweiz, in Montagnola, an dem Ort, an dem er die finstersten Zeit des vergangenen Jahrhunderts durchlebte. Eine Geschichte, die mich nicht heilt, aber die mich in der Welt hält, auf der langen Strecke, die noch vor mir liegt.


20.221.230:0.758 Zum Archiv

Noch nie war es so einfach, das historische Hintergrundrauschen seiner eigenen Geschichte zu recherchieren und gleichzeitig waren die Menschen noch nie so selbstvergessen in Bezug auf ihre eigene, individuelle Geschichte und das Eingebundensein in kollektive historische Prozesse. Das wäre ein Grund mehr, über mich, meine Generation und mein Verhältnis zur Welt zu schreiben.


20.221.229:0.940 Zum Archiv

Je älter ich werde, desto öfter denke ich, dass der eben zu schreibende Text der letzte gewesen sein wird, weil sich kein Bild mehr zeigt, das die Erscheinungen der Welt fassen kann, weil ich denke, dass der nächste Satz die Wiederholung aller vorangegangenen Sätze sein würde. Doch dann werde ich Tage später überrascht von einem Gedanken, der neu und unverbraucht scheint, vielleicht deshalb, weil Wittgenstein recht hatte, als er einst sagte, dass sprechen zur Sprache kommen bedeutet, bedeutet sich weiterzuentwickeln und mit der Sprache die Welt und ihre Erscheinungen immer wieder neu in Stand zu setzen. Am Leben zu sein, bedeutet letztendlich, die Welt zu beobachten, an ihr teilzuhaben und sie zu verändern.

Und beide, die innere und äußere Spur, die die Welt hinterlässt, bringen immer wieder Schrift in mir hervor, beinahe täglich. Und nur an Tagen, an denen anderen Mißbrauch an meiner Existenz begehen, mag dies nicht gelingen. Meine Angst vor dem Versiegen meiner Schrift ist daher im Grunde eine Angst vor der Entfremdung meines Denkens durch die Welt der anderen.


20.221.228:1.534 Zum Archiv
.
Ich bin kein fröhlicher Mensch. Für mich ist es schwierig nachzuvollziehen, wie man fröhlich sein kann in diesen und fröhlich sein konnte in vergangenen Zeiten. Freundlichkeit, ja dazu sollte man mich öfter verpflichten. Die lasse ich oft vermissen, an verzweifelten Tagen. Und wer mich für meine Unfreundlichkeiten rügt, dem will ich bereitwillig recht geben und ihm Besserung geloben.

Wozu ich darüber hinaus noch in der Lage bin? Mich morgens aufzurichten und zu sagen: Heute gebe ich mein Bestes! Komik und Entertainment vom Feinsten. Das kann man von mir verlangen, andere zum Lachen zu bringen, als einen Akt der Freundlichkeit und des Wohlwollens. Für die Verzweifelten unter uns bin ich bereit, mein Verlangen und meine Sehnsucht nach Stille zu bezwingen.

Allerdings nicht ohne meinen Lohn dafür einzufordern. Für diese Form der Entfremdung will ich mich bezahlen lassen, mit Schmerzensgeld, monatlich und pünktlich überwiesen, von denen, die mich angeheuert haben, gute Mine zum bösen Spiel zu machen. Aber zur Fröhlichkeit und guten Laune habe ich mich nicht verpflichtet. Die bringen die anderen zur Genüge in die Tage mit. Ich spiele lieber den Misepeter, denn einer muss ja den Spielverderber geben, in einer Welt, in der gelacht und getanzt wird, als hätte es das Heute gestern bereits nicht mehr gegeben.


20.221.226:1.002 Zum Archiv
.
Meine Literatur ist eine Anlassliteratur. Gelegenheitsliteratur. Ich schreibe, wenn es notwendig ist. Bücher und Texte über die Erscheinungen in der Welt. In gewisser Weise wäre ich gerne ein Phänömenologe geworden, doch für die Philosophie hat es nicht gereicht, also nähere ich mich als Schriftsteller der Welt, als wäre sie ein Phönomen, das es nicht nur zu verstehen, sondern auch zu beschreiben gilt.


20.221.219:0.825 Zum Archiv

Niemand hätte nie gedacht, dass er einer wäre, der nichts über sich wusste. Er war einer gewesen, der sein Leben damit verbrachte, sich selbst zu suchen. Ein Selbst, von dem ihm in der Kindheit berichtet wurde, ein Versprechen, mehr noch eine Hoffnung, beinahe so etwas wie eine Verheißung, ein Heil.

Niemand ging also auf Grund des großen Versprechens, das ihm in der Kindheit gegeben wurde, auf die Suche nach seinem Selbst. Nach diesem inneren Kern, von dem Mutter und Vater berichteten, wenn sie über ihr Leben sprachen, als wäre es ein heiliger Gral, etwas Eigenes, das alles Fremde überwinden könnte, das in Niemand hauste seit seinen ersten Tagen, an die er sich wie an ein Leben aus einer anderen Zeit erinnerte.


[Zum Archiv 20.2211] [Zum Archiv 20.2301]