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Die Diskussion um die künstliche (digitale) Intelligenz wird meist um die Frage der technischen Machbarkeit geführt, manchmal unter ökonomischen Gesichtspunkten, selten unter dem Apsekt ihres Nutzens. Wir erleben heute die gleiche Diskussion wie damals, als der Taschenrechner aufkam, später die ersten Personalcomputer und noch zwei Jahrzehnte später als die sozialen (oder wie sie besser zu nennen wären asozialen) Medien in unsere Gesellschaft eingesickerten. Wenige fragen heute jedoch nach dem Nutzen der digitalen Intelligenz.

Beinahe alle (ich will nicht ausschließen, dass es ein paar Unentwegte analoge Menschen gab und gibt, die sich verweigern) haben sich auf diese neuen Technologien gestürzt, frei nach Günther Anders, der Mensch nutzt, was er herstellt. Meine Generation, und mit ihr viele andere, dachten damals, dass die sozialen Medien dazu beitragen würden, die Gesellschaft zu demokratisieren, den politischen Diskurs zu öffnen. Eine kurze Zeit lang, schien das auch so zu sein. Plötzlich konnte man die Zapatisten in Mexico mit einer Online-Petition unterstützen. Was viele rasch zu vergessen schienen, war, dass Revolutionen nur in der Realität durchgeführt werden können, auf den Straßen, im Kampf gegen die realen Paläste, nicht in virtuellen politischen Räumen.

Heute wissen wir, dass das Netz als Demokratiemaschine uns mit trügerischen Freiheitsfantasien einlullte, denn die asozialen Medien waren der Nagel zum Sarg der unbemerkt verschiedenen Aufklärung. Jetzt dämmert uns langsam, dass wir, das aufgeklärte und scheinbar politisch aktive Bürgertum, sich in seinen Puppenhäusern in ängstliche Mitteanbeter verwandelt hat. Und aus dieser Furcht heraus, kultivieren wir die Vorstellung, dass es besser werden wird, wenn wir nur die Richtigen wählen. Wir versuchen nun verzweifelt, die längst zehn Fuß tief verscharrte Aufklärung zu exhumieren und mit DNA-Analysen zu rekonstruieren, um sie wiederauferstehen zu lassen.

Doch die asozialen Medien und die digitale Intelligenz haben das, was wir früher als wahr und richtig erachtet haben, unter einer Schlammlawine aus Hass und Desinformation begraben. Die Hoffnung, die wir hegten, als die Algorithmen in unser Leben einzogen, ist längst einer Verzweiflung gewichen, dass wir der digitalen Intelligenz nicht mehr entkommen werden. Das Leben einiger mag sich verbessert haben, denn wir langweilen uns weniger, haben weniger Zeit zum Nachdenken. Doch der Preis, den wir dafür zahlen, ist Entmündigung, digitale Diktatur und die ökonomische Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Wir liefern uns dem digitalen Kapitalismus aus, weil wir denken, dass wir von ihm profitieren werden. Doch die Umverteilung nach Oben wird durch die digitale Intelligenz nicht nur weiter gefördert, sondern exponentiell beschleunigt.


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