20.220.727:0.830 Zum Archiv

wenn
die sonne
lichtlos wird

dann
hoffe ich
auf ein morgen

wider die zeichen
der zeit


20.220.725:1.232 Zum Archiv

Den Beruf des Lehrers ausüben zu dürfen, ist in vielerlei Hinsicht ein Privileg, doch wie erklärt sich dann das kollektive Aufatmen am Ende eines Schuljahres, dieses freudige Begrüßen einer jeden Ferienzeit?


20.220.724:1.936 Zum Archiv

In schwierigen Zeiten lässt sich mein Journal nicht in jenem Ausmaß füllen, wie ich es mir wünschen würde. Die Tagesgeschäfte erfordern meine volle Aufmerksamkeit. Für kleine Prosa über die Natur, die Menschen und die Erinnerung an das Gewesene bleibt wenig Zeit. Das Derbe und Unzureichende lässt keinen klaren lyrischen Gedanken zu und die Wälder geben mir keine Stichwörter, um aus dem Faden des Gegenwärtigen eine Geschichte zu stricken, die über mich selbst und mein Dasein hinausreichen könnte.

Und die Tage verflüchtigen sich, als wären sie auf der Flucht vor den guten Zeiten, die es einmal gegeben haben muss. Damals, in den Tagen, als die Zeit noch ein endloser, nie versiegender Strom war und ein ausschweifendes Faulenzen noch keinen Anlass für ein schlechtes Gewissen gab.


20.220.713:0.741 Zum Archiv

Das letzte Jahr war in beruflicher Hinsicht kein gutes Jahr. Es war ein Jahr der Zumutungen. Und oft musste ich folgenden Satz hören: Gegen die herrschenden Verhältnisse ist kein Kraut gewachsen. Man kann das Unvermeidbare nicht aufhalten.

Angesichts solcher Sätze melde ich sofortigen und unbeugsamen Widerspruch an.

Nur weil etwas nicht aufzuhalten ist, muss man es noch lange nicht gut heißen.
Nur weil etwas nicht aufzuhalten ist, muss man es ja nicht hinnehmen.
Nur weil etwas nicht aufzuhalten ist, kann man dagegen revoltieren.


Ein Gerücht wird ja nicht deswegen wahr, weil es in die Welt gesetzt wird. Ein Gerücht wird dadurch wahr, dass wir es fraglos zur Kenntnis nehmen.

Auch die Herrstellung der Atombombe war scheinbar nicht aufzuhalten, denn was der Mensch kann, setzt er in die Tat um, oder, um mit Günther Anders zu sprechen, das Gewollte ist das Gesollte. Dennoch muss man den Einsatz der Bombe nicht begrüßen. Man muss sie nicht einsetzen.

Leider sind wir Menschen nur allzu bereit, der Greuelpropaganda der Herrschenden leichtgläubig zu folgen, Gerüchte bereitwillig aufzugreifen, weil wir Bürger*innen mutlos und feige geworden sind, uns von den Erkenntnissen der Aufklärung distanzieren und manchmal leichtfertig lossagen, weil es kurzfristig bequemer ist, einem Gerücht zu glauben, als es zu überprüfen. Wir sind eben nicht nur feige, sondern auch politisch faul und unvorsichtig geworden. Wir scheuen die politischen Mühen der Ebenen, weil uns das Elend nicht mehr anrührt, solange es nicht uns selbst betrifft.

Damit machen wir die politische Selbstaufgabe der Bürger*innen zur stärksten Waffe der Herrschenden im Kampf um die Durchsetzung ihrer ökonomischen und politischen Interessen. Ein neuer Adel ist entstanden. Ein nie für möglich gehaltenes adeliges Bürgertum, das sich vollständig vom politischen Kontext der Aufklärung abgekoppelt hat und mit ihrem unfassbaren Reichtum die Welt beherrscht und diesen schamlos im multimedialen Universum zur Schau stellt. Sie feiern Feste und pflegen einen Lebensstil, der allen Mindestlohnbezieher*innen vor Zorn und Wut auf die Straße treiben müsste. Aber dem ist nicht so. Warum?

Wo bleibt der massenhafte Widerstand?
Wo bleibt die massenhafte Kampfbereitschaft?
Wo bleibt der kollektive Aufschrei.
Und warum rufen wir keinen Henker herbei?


Wir Bürger*innen sind politisch entmachtet worden, wie man es sich vor ein paar Jahrzehnten noch nicht vorstellen konnte. Nein, schlimmer noch, wir haben es uns in unseren Demokratien gemütlich gemacht und uns entmachten lassen. Wir haben zugelassen, dass man unsere Staaten systematisch ausplündert und die mit hohem Blutzoll erkämpften Rechte von Arbeitnehmer*innen einschränkt. Und weil dem so ist und der neue Geldadel auf keinen nennswerten Widerstand trifft, müssen sich die Wölfe nicht einmal mehr mit einem Schafspelz tarnen.

Was Marx/Engels einst über den Kapitalismus schrieben, hat nichts an Bedeutung verloren, sondern die Bedeutung des Kommunistischen Manifestes hat zugenommen. Darin heißt es:

Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ›bare Zahlung‹. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.


20.220.702:1.231 Zum Archiv

Ihre Mittagsjause bestand aus frischem Gemüse, Salat, Brot, Käse ein wenig Wurst, frisches Obst. Was der Mensch so braucht, um bis zur Kaffeejause durchzuhalten. Zwei Teller, Besteck, Gläser. Ein Krug Wasser. Ein letzter Blick, ob alles an seinem Ort war und dann rief er seine Frau zu Tisch.
Mahlzeit, sagte sie beim Betreten der Küche.
Mahlzeit, erwiderte er.
Das Radio lief. Die Gespräche waren belanglos.
Komm, sagte sie danach und nahm ihn bei der Hand.


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