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Ein befreundeter Schriftsteller schrieb mir vor Monaten sinngemäß zur Publikation meines ersten Journals [Selbst die Vögel fliegen nicht mehr in den Süden] folgendes: Wie ich am Schluss über mich als gar nicht so schlechter Vater und Liebender mit Defizit geschrieben habe, fehlte ihm plötzlich die Familie in meinem Buch. Und dabei meinte er nicht meine Familie, sondern die Welt der Familie, die mein Denken und Schreiben doch wesentlich beeinflusst. Und wie recht er damit hatte. Das Schreiben wird von vielen Lebensbereichen maßgeblich beeinflusst, von der Arbeit, freundschaftlichen Gesprächen und natürlich auch von der Familie, ob wir uns das eingestehen oder nicht.
Seither hallt es in mir nach, fühle ich mich ein wenig mehr verpflichtet, mein Leben zum Thema zu machen, nicht nur die Familie, sondern alles, was sich vor dem Hintergrundrauschen der Geschichte in mir und durch mich ereignet hat, einen autofiktionalen Text schreiben, über all das, das mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Vielleicht werde ich eines Tages den Mut aufbringen, mich derart wichtig zu nehmen, um mich als Zentrum eines Universums in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen, offen und ohne Visier meine Geschichte aufschreiben. Doch das ist schwierig, denn für das eigene Leben und auch für die Familie gilt, wer in der Mitte steht, kann nicht verstehen, was in ihr vorgeht. Es ist wie während einer Revolution: Erst wenn ein Sieg errungen ist oder eine Niederlage durchlitten wurde, kann man die Ereignisse reflektieren, retrospektiv sozusagen, ein wenig mit Distanz und von außen.
Familie aber, und das Lebens selbst, sind etwas, das andauert, das sich hinzieht, das nur durch den Tod der Beteiligten endet, wenn man so will, erst in der Rückschau sichtbar wird, im Gelingen ebenso wie im Scheitern. Alles, was wir davor notieren, ist eben als Teil dieser Mitte, dieses lebendigen Austausches zwischen Welt und Ich zu betrachten und bleibt immer vorläufig. Ist schon im Notieren überholt von den Ereignissen der neuen Tage.
Was ich über die Familie im Allgemeinen aber sagen kann: Sie ist eine Art von Ringen um den richtigen Weg. Ob dieser Weg aber gangbar ist, hängt ja nicht von der eigenen Zielvorgabe ab, sondern auch von allen Beteiligten, der Partner*in, den Kindern, Onkeln, Tanten, Nichten, Neffen und nicht zu vergessen: den eigenen Eltern, die sich im Zuge der Familiengründung in Großeltern verwandeln. Ob Familie gelingt oder misslingt hängt also maßgeblich davon ab, welchen Umgang wir in dieser sozialen Gemeinschaft miteinander pflegen, ob mit Freundlichkeit oder kleinbürgerlicher Verachtung. Ob Familie gelingt, hängt aber auch zu einem beträchtlichen Teil davon ab, wie wir die Welt, die uns umgibt, verstehen und die Entwicklung der Familie auch als Reaktion auf die Welt außerhalb der eigenen vier Wände begreifen.
Kurz gesagt: Familie ist eine komplexe soziale Gemeinschaft und als Teil dieser komplexen Gemeinschaft verliert man seinen Status als Individuum, das nur sich selbst gegenüber verpflichtet ist, man wird durch die Gründung einer Familie, oder durch Geburt in eine solche, Teil eines größeren Ganzen, dem gegenüber man sich loyal verhält, weil man Veranwortung übernommen hat, für alle Menschen, die man zu seinen Menschen gemacht hat, jedoch nicht im Sinne eines Eigentumsanspruches, den manche für sich reklamieren, nicht durch eine Blutslinie, die durch unsere Adern pulst, sondern im Sinne einer Gemeinschaft, in der man für einander da ist, auch wenn dieses Dasein in Permanenz manchmal auch verloren geht, weil unter der Totalität des Familiären in unserer heutigen Zeit, wir alle an die Grenzen unserer Belastbarkeit gelangen.
Es gibt also viele Gründe über die Familie zu schreiben, aber mindestens soviele Gründe es bleiben zu lassen. Ich fühle mich noch nicht verloren genug, noch nicht ans Ende gekommen, um mich diesem Thema objektiv, retrospektiv und mit Distanz nähern zu können.
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