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meditation vier | zu günther anders
ungeordnete gedanken


die ideale der aufklärung: freiheit und gleichheit und brüderlichkeit haben keine gültigkeit mehr denn sie gingen davon aus dass der mensch frei und gleich und brüderlich sei. doch was ist freiheit in einer gesellschaft in der die vernichtung von waren – also konsumgütern – deren permanente ersetzung durch andere waren und konsumgüster zum obersten gebot wurde. wir sind die sklaven dieser vernichtung und ersetzung geworden. als wir noch das subjekt dieser vernichtung waren (also produzenten) – und nicht nur ihre objekte (also konsumenten) – hatten die ideale der aufklärung noch ihren sinn.

Günther Anders: Wenn jemand die Bombe in der törichten Hoffnung verwenden würde, damit ein bestimmtes Ziel durchzusetzen, die Wirkung, die er erzielen würde, würde mit seinen Zielen keine Ähnlichkeit haben.

früher fertigten wir aus einem stück holz einen sessel. wir vernichteten den baum mittels eines werkzeuges um daraus einen gegenstand herzustellen der erst in zweiter linie eine ware war. heute bedienen wir eine maschine die einen baum fällt und benutzen eine mit der wir ihn in die fabrik bringen und dort hantieren wir mit geräten die den baum schälen und zerschneiden und in form bringen und transportieren. am ende kaufen wir das produkt als konsumenten. meist in dem wir mit einer durch eine maschine hergestellte plastikkarte bezahlen die wir durch eine maschine ziehen in die wir unseren maschinencode eintippen. was bedeuten also die begriffe freiheit und gleichheit und brüderlichkeit in einer gesellschaft in deren zentrum nicht mehr der mensch und seine vernichtungskraft steht sondern das vernichtungspotential von maschinen. was ist das für eine freiheit die darin besteht nur mehr die freiheit zu haben eine ware zu wählen aber nicht mehr grundsätzlich auf sie verzichten zu können. was bedeutet freiheit in einer gesellschaft die darauf bedacht ist den kreislauf des produzierens und konsumierens von waren und maschinen niemals enden zu lassen um nur ja kein risiko einzugehen eines tages keine waren mehr produzieren und konsumieren zu können?

Günther Anders: Unsere heutige Endlichkeit besteht nicht mehr in der Tatsache, daß wir bedürftige Lebewesen sind; sondern umgekehrt darin, daß wir (zum Bedauern der untröstlichen Industrie) viel zu wenig bedürfen können - kurz: in unserem Mangel an Mangel.

auch gleichheit als ideal ist hinfällig. denn gleichheit der menschen setzt ein funktionierendes rechtssystem voraus so etwas wie einen rechtsstaat. abgesehen davon war gleichheit ohne die anerkennung ethischer oder geschlechtlicher differenzen immer schon ein unsinn. wir kann es gleichheit ohne die anerkennung der differenz geben? also abgesehen davon brauchen wir ein funktionierendes rechtssystem in dem vor allem engagierte und mündige bürger das sagen haben. die aufklärung geht ja auch wie selbstverständlich von einer politischen elite aus die qua unserer stimme durch das volk hindurch regiert. wieder eine fehleinschätzung. was die aufklärer nicht wissen konnten ist dass heute die konzerne regieren und durch sie hindurch die manager. sie sind das medium geworden über das die maschinen und produkte ihre vernichtungsgewalt entwickeln können. sie regieren durch die maschinen hindurch die welt. die maschinen regieren denn sie produzieren auch wenn sie das mit unserer hilfe tun tun sie es doch weil wir nicht mehr auf sie verzichten wollen oder besser können. die gleichheit der menschen ist von der utopie zum transzendenten heil geworden.

Günther Anders: Denn entscheidend ist eben, daß Kafka nicht wußte, welcher Welt, welchem Paradies er zugehören sollte: ob der Welt des jüdischen Volkslebens, ob der zionistischen Bewegung, ob der umfangreichen aller Erniedrigten und Beleidigten oder schließlich "der" Welt...also der Machtwelt. wenn, wie er es ausdrückt, die "Vertreibung" für ihn "ewig" war, so also deshalb, weil er sich für kein bestimmtes Paradies entschied.

und brüderlichkeit? wie kann es denn brüderlichkeit geben in einem teufelskreis aus produktion und konsumtion der zwischen menschen und maschinen abläuft. wir sind was wir sind: heillos in diesen kreislauf verliebt! ein kreislauf aus dem wir nicht mehr aussteigen können, weil er so schön bequem ist. wir können uns einnisten in dem kreislauf von geld und waren und ressourcen und produktersetzungen. das macht es ja auch so genial sinnlos. da kann es aber auch keine brüderlichkeit mehr geben. in einer welt in der ein mensch durch ein produkt ersetzt wird und in der ein mensch nur mehr die wahl hat zwischen zwei produkten zu wählen und irgendwann selbst zum produkt seiner eigenen produktionsverhältnisse wird. zum rohstoff (genmanipulation). zur ware (genstruktur). er wird austauschbar und damit sinnlos. ist der mensch zur ware geworden kann es keine menschlichkeit und auch keine brüderlichkeit mehr geben.

Günther Anders: In anderen Worten: Die Produktion stellt die Habenichtse dadurch her, daß sie jedes ihrer Güter so erzeugt, daß dessen Besitz ohne den zusätzlichen Besitz anderer Güter wertlos bleiben würde. Tatsächlich gehört die Herstellung dauernden Notstandes zu den Haupttätigkeiten aller Produktionen. Ja, Notstand gehört in gewissem Sinne als Attribut zu jedem ihrer Produkte. Denn jede Ware gibt sie Hunger mit, die der Käufer durch einen neuen Kauf stillen muß.

und dann wechseln wir auch noch mehrmals die fronten zwischen unseren sozialen welten. wir wissen nicht mehr genau welcher welt wir angehören welcher wir eindeutig zugehören. und so gehen wir unweigerlich verloren. wir gehen verloren in der vielfalt der weltmöglichkeiten. wenn wir morgens aufstehen und unseren kaffee trinken sind wir nur konsumenten und räsonieren über die gestiegenen kaffeepreise. fahren wir zur arbeit sind wir arbeitnehmer und fordern höhere löhne und weniger stress im betrieb. nachmittags gehen wir zur bank und kontrollieren die zinsen für unsere spareinlagen ob denn der investmentfond auch gute gewinne abwirft. plötzlich sind wir über unsere lebensversicherungen und anlagefonds eigentümer von firmen und damit natürlich auch arbeitgeber versuchen also löhne zu drücken und preise zu steigern um so unsere profite zu maximieren. und dann kommen wir nach hause und legen die beine hoch und schalten den fernseher ein oder den computer und sind wieder banale konsumenten und ärgern oder freuen uns über die werbung die den ganzen kreislauf in gang hält.

Günther Anders: Diese Industrie, die den Hunger der Waren nach Konsumiertwerden und unseren Hunger nach diesen auf gleich bringen soll, heißt "Werbung". Man produziert also Werbemittel, um das Bedürfnis nach Produkten, die unser bedürfen, zu produzieren; damit wir diese Produkte liquidieren.
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eingestellt am: 17.2.2019 | zuletzt aktualisiert: 17.2.2019
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