20.241.120:1.927 Zum Archiv

Das Bett ist warm und weich, zwei Körper flüchten aus der Kälte des Sommerregens unter eine Bettdecke. Sie wollen kein neues Leben begründen, nur den alten Bund erneuern, der sie schon vor Jahren zusammengeführt hat. Sie wollen keine neue Existenz zeugen, sondern ein Stück des heißen Sommertages in ihren arbeitsreichen Alltag hinüberretten. Der Mann zwingt die Frau nicht. Nur ein heftiges Gewitter macht die Vereinigung möglich. Es ist ein Julinachmittag, an dem der Mann sich in die Frau ergießt, sich seinem Genuss hingibt, der wie der Regen einem Gewitter folgt und über den die beiden, ohne ihn beim Namen zu nennen, später immer wieder sprechen werden, um damit diesen einen, wunderbaren Akt zu beschwören, der später immer öfter ausbleiben wird.

Ihr Dasein ist das Ergebnis einer Entleerung, die sich danach in verbale Sturzfluten verwandelt, in denen sich jede Erotik verflüchtigt und als bloßer Zeugungsakt zäh und feucht in der Erinnerung kleben bleibt. Eine Absonderung, die nur Genuss sein will und für sie zur Existenzbedingung geworden ist, der Anfang, der ihr Sein begründet, der Anfang, dem nach der Zeugung die Austreibung folgt und schließlich ein Name. Ihre Geburt ist ein Stück Rand, ein tiefroter Randteil, der zur Mitte verweist, ins Herzstück ihrer Existenz, zu allem, was ihr Sein ausmacht. Mit der Geburt scheint alles wieder ins Lot zu kommen, lässt sich ein Anfang machen, wenn auch einen willkürlichen, denn ebenso gut könnte ihr erster Geschlechtsverkehr mit einem Mann ein Anfang sein, oder ihre erste Reise nach Griechenland. Doch es ist die Geburt, wo alles einen Anfang findet, dort wo alles zusammenläuft. Denkt sie.


20.241.120:1.815 Zum Archiv

Ich kenne die Wege, die hier durchs Gelände führen, jeden Stein, jeden Baum, selbst die gefällten, die entwurzelten, die verroteten sind mir in Erinnerung geblieben. Ich sah die Welt bisher immer nur unvollständig und verschwommen, sagte er.
Stört es dich?
Nein, denn ich habe nie etwas von der Welt erwartet und sie nichts von mir.


20.241.110:1.720 Zum Archiv

Er ist satt geworden an diesem Abend. Wie er jeden Abend satt wird vom Essen, dass ihm die Frau, die er Maria nennt, bringt. Er spricht sie mit Maria an, weil ihr dieser Name von ihren Eltern vermutlich irgendwann einmal gegeben wurde. Das von ihr bereitete Abendmahl hat ihm den Magen gefüllt. Maria ist längst gegangen. Sie hatte das Licht gelöscht, denn sie wusste, dass es ihm nicht schwer fiel, in der Dunkelheit auszuharren, zu warten, bis wieder jemand kommen würde, um Licht zu machen. Er ist geduldig geworden, über die Jahre. Nun ist es ihm möglich, stundenlang auf die Uhr zu starren, zu beobachten, wie die Zeit zäh und träge aus ihr herausströmt. Er kann still halten, sich wie ein Tier in eine Ecke verkriechen und hoffen, dass die Gespenster der Vergangenheit, die draußen vor der Tür rumoren, ihn nicht holen werden. In der Stille gibt es nur eine Uhr, die unaufhörlich tickt, bis irgendwann das Federwerk zum Stillstand kommt, weil keiner da ist, der es wieder in Schwung bringt.


20.241.105:1.014 Zum Archiv

Die Tür zum Bus geht auf und alles drängt rasch heran. Monatskarten winken. Abgezähltes Fahrgeld in zahlbereiten Händen. Manche hinten angestellt, in der Reihe, vor Kälte frierend. Schritt um Schritt nachrückend, immer den hellen Nacken junger Frauen und Männer vor sich. Blasse Haut. Immer unbändige Lust an die weiche Haut zu fassen und das Leben zu spüren, das von der Weichheit sich im Tag ausbreiten wird, wenn die Finger den Hals entlang streichen und das Haar darüber fällt. Der Duft frisch geputzter Leiber. Die Hand bleibt, wo sie ist, an der Hosennaht, wie gelernt und befohlen. Stehen bleiben. Zum ersten Mal still halten. Kein Schritt vorwärts mehr. Augen schließen.


[Zum Archiv 20.2410] [Zum Archiv 20.2412]